Museum zu Gast: Museum Traiskirchen

Das Museum Traiskirchen 2018 (© Museum Traiskirchen; Foto: Robert Eichinger)

Einst drehten sich in Möllersdorf an die 6.700 Spindeln. Josef Mohr hatte 1824 hier eine Baumwollspinnerei gegründet und nutzte dafür die Wasserkraft des Mühlbaches. Die Spinnerei Möllersdorf war der erste Industriebetrieb Traiskirchens. 1877 erwarb die Vöslauer Kammgarn AG die Fabrik und stellte die Erzeugung auf Schafwollverarbeitung um. Produziert wurden in Möllersdorf feine Garne und Zwirne aus Merinowolle. In ihrer Blütezeit war das Werk eine der größten Kammgarnspinnereien Europas. Der Niedergang der Textilindustrie traf auch die Vöslauer Kammgarn AG. 1976 musste das Werk in Möllersdorf geschlossen werden. Das Areal kam in den Besitz der Semperit AG, die die Spinnhallen als Reifenlager nutzte. Unter Bürgermeister Fritz Knotzer erwarb die Stadtgemeinde 1987 das Gelände mit dem umfangreichen Gebäudeensemble, um hier das Museum Traiskirchen anzusiedeln – ein Unterfangen, für das sich besonders der Museumsgründer Franz Schlögl eingesetzt hatte.

Mehr als 60 Räume …

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Ladenzeile im 1. Stock (© Museum Traiskirchen, Foto: Peter Wallner)

Im Hauptgebäude der ehemaligen Spinnerei erwarten mehr als 50.000 Objekte die Besucher*innen. Man sollte viel Zeit mitbringen oder einfach mehrmals kommen. Letzteres ist sicher die bessere Option, so kann man auch in den Genuss der zahlreichen Aktionen kommen, die das Museum ihren Besucher*innen und vor allem den Kindern bietet. Es lohnt sich, immer wieder einen Blick auf die Webseite zu werfen, die über die Aktivitäten laufend informiert.

Die Bestände des Museums sind auf drei Stockwerke und das Außengelände verteilt. Das Erdgeschoss ist den Themenbereichen Verkehr, Mobilität und Technik gewidmet. Ein Schauraum erinnert mit Werbetafeln und einem Porträt von Johann Nepomuk Reithoffer, dem Gründer der Niederösterreichischen k. k. landesbefugten Gummielasticum- und Guttaperchawarenfabrik in Wimpassing an die Firma Semperit, die 1912 nach Zusammenschluss mit anderen Unternehmen entstand und in Traiskirchen eine Reifen-Produktionsstätte errichtete. Im Freigelände finden sich am Mühlbach die Rekonstruktion eines unterschlächtigen Wasserrades, ein Sägegatter sowie eine Haltestelle und ein Triebwagen der Badner Bahn (Baujahr 1926, bis 1988 in Betrieb).

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Haltestelle Möllersdorf und Triebwagen der Badner Bahn (© Museum Traiskirchen, Foto: Robert Eichinger)

Im ersten Stock wandern die Besucher*innen durch eine Ladenstraße, die Einblick in verschiedene Geschäftslokale und Handwerksbetriebe bietet, wie sie das Bild der Straßen in Traiskirchen einst prägten. Da gibt es die Trafik, den Uhrmacher, das Fotostudio, das Modewarenhaus (Besitzer: Arpad Braun) und den Greißler. In Zeiten, als noch keine Einkaufsmärkte an den Einfallstraßen die Käufer*innen anlockten, deckten diese kleinen Lebensmittelhändler den täglichen Bedarf. Die hier gezeigten Objekte stammen aus dem 1894 gegründeten Geschäft der Familie Drexler.

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Blick in die Greißlerei der Familie Drexler (© Elisabeth Vavra)

An Gewerben sind u.a. ein Friseur und Perückenmacher, ein Raseur, ein Tischler, ein Schuster und eine Bäckerei vertreten. Die Tischlerei stand einstmals in Wienersdorf und gehörte Karl Staska. Nicht fehlen darf das Milchgeschäft – eine Einrichtung, die nur mehr den Älteren unter uns bekannt sein dürfte. Früher betrieben die Molkereien eigene Geschäfte, in denen sie ihre Milchprodukte anboten. Oft waren diese nur wenige Stunden am Tag geöffnet. Man konnte hier sicher sein, immer die frischeste Ware zu erhalten: So belieferte die Niederösterreichische Molkerei reg. GenossenschaftmbH (NÖM) bereits wenige Jahre nach ihrer Gründung 1898 121 Filialen mit Frischmilch und anderen frischen Molkereiprodukten. In einer Zeit ohne Kühlschränke waren die Haushalte auf den täglichen Einkauf von Frischmilch angewiesen.

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Hutfachgeschäft (© Elisabeth Vavra)

Zu meinen liebsten Geschäften zählen zwei ganz unterschiedliche Läden: das Hutfachgeschäft und die Apotheke:
Das Hutfachgeschäft war gleichzeitig eine Hutmacherei – für heutige Verhältnisse ein nahezu ausgestorbenes Gewerbe. Nur in wenigen Orten gibt es heute noch solche Geschäfte und Handwerksbetriebe. So gab es 2018 nur mehr drei Lehrlinge in Österreich, die das Handwerk des Hutmachers erlernten. Ganz anders ist es natürlich um Apotheken bestellt. Hier ging es in der Vergangenheit eher darum, einen Apotheker für einen Ort zu gewinnen. So reichte Traiskirchen 1809 bei dem Kreisamt für das Viertel unter dem Wienerwald ein Ansuchen um die Errichtung einer Apotheke ein. Die Einrichtung der Apotheke im Museum Traiskirchen zeigt mit Objekten wie Mörser, Waage und den Beschriftungen der zahlreichen Apothekergefäße, dass in einer Apotheke um 1890 die meisten Medikamente und Heilmittel noch durch den Apotheker persönlich hergestellt werden mussten.

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Museumsapotheke mit Einrichtung aus der Zeit um 1890 (© Elisabeth Vavra)

Schafft man es, sich von den Geschäften der Ladenstraße loszureißen, so gelangt man zum nächsten „Augenschmaus“: Man betritt eine bis ins kleinste Detail ausgestattete Arbeiterwohnung aus der Zeit um 1930, wie es sie hundertfach in Wien und im Wiener Becken rund um die Industriezentren gegeben hat. Es handelt sich um eine einfache Bassena-Wohnung. Sie besteht aus einem Schlafraum und einer Wohnküche. Hier rund um den einfachen Küchentisch spielte sich das Familienleben ab. Das Wasser holte man sich am Gang bei der Bassena; das Wort kommt vom frz. basin bzw. vom ital. bacino (Becken) und bezeichnet eine für die Mieter*innen zugängliche Wasserstelle. Wenn man Glück hatte, befand sich in jedem Stockwerk am Gang ein WC, manchmal waren diese auch nur im Hof anzutreffen.

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Bassena-Wohnung um 1930 (© Museum Traiskirchen, Foto: Robert Eichinger)

Einen Raum muss ich bei meinen Besuchen immer betreten, das detailverliebt eingerichtete Schulzimmer. Hier vermeint man noch den Kreidestaub und den Angstschweiß der Kinder zu riechen. Die erste Nennung eines Schulmeisters in Traiskirchen erfolgte schon 1359. Seit dem 16. Jahrhundert gab es vermutlich einen kontinuierlichen Unterricht. Möllersdorf und Tribuswinkel waren ab der Einführung der Schulpflicht in Traiskirchen eingeschult. Bis 1839 war die Volksschule einklassig, dann bis 1870 zweiklassig. Die im Museum gezeigte Schulklasse stammt mit ihrer Einrichtung und den Lehrmittelgegenständen etwa aus der Zeit um 1920.

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Schulzimmer (© Elisabeth Vavra)

Ein Herz für Kinder …

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Spielzeugsammlung (© Museum Traiskirchen)

Ein Paradies für Kinder und Junggebliebene ist die Spielzeug-Sammlung im zweiten Stock des Museums. Der Schwerpunkt liegt auf den zwei Baukasten-Systemen, die nun schon seit mehr als 100 Jahren Kinderherzen erfreuen: Anker-Steinbaukasten und Matador. Aber auch historische Puppen, Autos, Blechspielzeug, Brettspiele, Papiertheater und Puppenküchen kann man bewundern.

Die Erfindung der Anker-Steinbaukästen ging auf die Brüder Lilienthal zurück, die als Luftfahrtpioniere besser bekannt sind. Zum Durchbruch verhalf diesem ersten Systemspielzeug Friedrich Adolf Richter, der ab 1882 in Rudolstadt die Baukästen produzieren ließ. Architekten und Illustratoren sorgten für Pläne und Bauvorlagen. Das raffinierte Erweiterungs- und Ergänzungssystem sorgte dafür, dass die Baukästen immer wieder auf den Wunschzetteln der Kinder zu finden waren und so den Eltern die Geschenkeauswahl erleichtert wurde. Eine frühe Form der Markenbindung.

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Berg- und Talkarussell, Matador, 1928 (© Elisabeth Vavra)
Mit traditionellen Bausteinen konnten Kinder zwar großartige Bauten errichten, allerdings waren diese nicht sehr stabil. Um hier Abhilfe zu schaffen, versah der Wiener Johann Korbuly die Bausteine seiner Söhne mit Bohrungen und nützte Stäbe als Verbindungselemente. 1901 meldete er dafür ein Patent an. Der Matador-Baukasten war geboren. Als Korbuly keinen Produzenten für seine Baukästen fand, begann er selbst mit der Erzeugung. 1915 schuf er eine neue Produktionsstätte in Pfaffstätten. Die ins Programm aufgenommenen Achsen, Wellen und Räder eröffneten nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Und auch im Museum dreht und bewegt sich alles: Dutzende Matador-Modelle können in Bewegung gesetzt werden. An einem Spieltisch können die Kinder (oder auch ihre Eltern oder Großeltern) selbst Hand anlegen und mit Matador oder Anker-Steinbaukästen ihre Phantasien umsetzen.

Und noch vieles mehr …

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Waschbär (© Elisabeth Vavra)

Die Sammlungsbestände im Museum Traiskirchen sind so umfangreich, dass ich nicht alle im Detail vorstellen kann. Liebevoll eingerichtete Räume erzählen von der Fauna und Flora der Gegend rund um Traiskirchen. Und so kann es schon vorkommen, dass man über einen Waschbären stolpert – aber keine Angst, er beißt nicht.

Über Alltagsbewältigung etwa erzählen eine eingerichtete Waschküche, die in die Zeit der Waschrumpel zurückführt oder eine Sammlung von Bügeleisen: Das Museum Traiskirchen besitzt Österreichs größte Bügeleisen-Sammlung mit besonderen Raritäten wie Kugel- und Satzeisen, Mangelbrettern und Blumeneisen, Glättkeulen und Plissierzangen. Die über 3.000 Objekte stammen aus dem Besitz von Marianne Berger, die den Bestand zusammentrug und dem Museum Traiskirchen schenkte. In anderen Räumlichkeiten befindet sich eine einzigartige Sammlung an Radio und Phonogeräten, die einst von Ing. Rudolf Schara begonnen wurde. Sie umfasst mechanische Musikinstrumente wie Drehorgeln, Diktaphone, Magnetophone, Schallplattenwiedergabegeräte, Schneidegeräte, automatische Musikwiedergabegeräte und eine große Anzahl von Radiogeräten von 1924 bis heute. Und es fehlen auch nicht die Kofferradios, die so manchen von uns in den 50er und 60er Jahren durch die Jugendzeit begleitet haben.

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Radiosammlung (© Museum Traiskirchen, Foto: Peter Wallner)

Im gesamten Museumsbereich sind auch Objekte zu finden, die Ereignisse aus der Geschichte Traiskirchens ins Gedächtnis rufen, etwa die Napoleonischen Kriege, während derer sich 1805 die französischen Truppen in Möllersdorf aufhielten. Am 25. und 26. Dezember 1805 hielt Napoleon auf der so genannten Reichlwiesn zwischen der Kirche St. Margaretha und dem Möllersdorfer Schlössl – dem ehem. Jagdschloss Maria Theresias – eine Parade ab. Diese Parade ist in einem Zinnfiguren-Diorama zu bewundern. Das Möllersdorfer Schlössl wurde in Ankerbausteinen nachgebaut.
Fröhlicher stimmt da schon die im zweiten Stock des Museums eingerichtete Gaststätte. Die Lage Traiskirchens an der wichtigen Fernverbindung nach Triest führte dazu, dass es hier in der Umgebung bis zu 20 Einkehrgasthäuser gab. Eines davon war das Gasthaus Huber in Tribuswinkel-Josefsthal, dessen Einrichtung aus der Zeit um 1930 jetzt im Museum originalgetreu wieder aufgebaut wurde. Es ist ein Abgesang auf die heute so in Bedrängnis geratene Wirtshauskultur.

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Ehemaliges Gasthaus Huber in Tribuswinkel (© Elisabeth Vavra)

Feuerwehrmuseum

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Feuerwehrfahrzeug der Firma Semperit (© Museum Traiskirchen, Foto: Robert Eichinger)
Seit 2000 ist in einer angrenzenden Halle ein Feuerwehrmuseum eingerichtet, in dem Löschfahrzeuge, Handdruckspritzen, einige mit Pferden bespannte Löschfahrzeuge und historische Kraftfahrzeuge zu sehen sind. Kleine Gerätschaften wie z. B. eine Krückenspritze aus 1828, Einreißhaken, Leineneimer und verschiedene Kleinlöschgeräte zeigen die Entwicklung der Feuerwehrgerätschaft bis heute. Zu sehen sind auch Helme, Uniformen und zahlreiche Informationen zu den regionalen Feuerwehreinheiten. Zwischen 1868 und 1883 wurden fünf Freiwillige Feuerwehren im Gebiet von Traiskirchen gegründet: die Freiwillige Feuerwehr Traiskirchen Stadt, die FF Möllersdorf, die FF Tribuswinkel, die FF Oeynhausen und die FF Wienersdorf.

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Autorin: Prof.in Dr.in Elisabeth Vavra – Mag.a Karin Weber-Rektorik

Museum Traiskirchen
Wolfstraße 18
Ortsteil Möllersdorf
2514 Traiskirchen

Öffnungszeiten von März bis 24. Dezember:
Donnerstag 14–18 Uhr , Sonn- und Feiertag 9–17 Uhr
Weitere Informationen zum Museum Traiskirchen finden Sie hier.
Mehr zu den Gastmuseen entdecken Sie unter Museum zu Gast.

Kataloge:
Karin Weber-Rektorik, Stadtmuseum Traiskirchen. Museumsführer, Traiskirchen 2008.

Gerhart Bruckmann, 125 Jahre Anker-Steinbaukasten. Sonderausstellung im Stadtmuseum Traiskirchen, Traiskirchen 2006.
100 Jahre Matador: ein Baukasten erobert die Welt. Dauerausstellung im Stadtmuseum Traiskirchen, 2. erg. Aufl., Traiskirchen 2007.

Karin Weber-Rektorik – Heinrich Gutmann, Feuerwehrmuseum Traiskirchen, Traiskirchen 2010.

Museum Traiskirchen (Hg.), Die schwimmende Landstraße: der Wiener Neustädter Kanal - ein historischer Wasserweg. Sonderausstellung im Museum Traiskirchen. Traiskirchen 2019.

 

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