Das Gemalte Haus in Eggenburg, Ecke Hauptplatz / Kremserstraße (© Elisabeth Vavra)

Gassen mit Geschichte – Verblasste Schönheit: 475 Jahre Gemaltes Haus in Eggenburg

Bis heute bestimmen die Bürgerhäuser das Erscheinungsbild der Städte und Märkte in Niederösterreich. Im Besitz von Amtsträgern, Händlern und Kaufleuten spiegeln ihre aufwändig gestalteten Fassaden als Objekte der Repräsentation den Reichtum und die soziale Stellung ihrer Eigentümer im Stadtgefüge wider. Gehen auch viele dieser Häuser auf spätmittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Bauten zurück, so passten sich die Schauseiten der Gebäude dem jeweiligen Zeitgeschmack an. Daher haben sich bis heute nur mehr wenige frühe Beispiele erhalten. Je reicher die Bürger wurden, desto prächtiger wurde die Außenhaut der Häuser gestaltet. Erker brachten Licht in die dahinter liegenden Wohnräume und erweiterten diese räumlich. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts kamen italienische Baumeister nach Niederösterreich. Sie errichteten nicht nur Kirchen- und Festungsbauten, sie beeinflussten auch die Gestaltung der Wohnbauten mit Dekorationsformen der italienischen Renaissance. Und sie brachten die Technik des Sgraffito mit.

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Bürgerhäuser auf dem Hauptplatz in Eggenburg (© Elisabeth Vavra)

Sgraffito – eine Technik aus Italien

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Gmünd, Stadtplatz Nr. 31 und Nr. 33: spätgotische Giebelhäuser, um 1570, vorgeblendete Schaufassaden mit Sgraffitodekor (© Elisabeth Vavra)
„Sgraffito“ leitet sich vom italienischen Verb „sgraffiare“ oder „graffiare“ (deutsch „kratzen“) ab. Mit dieser Dekorationstechnik, die zu den Stucktechniken gehört, wurden ganze Wandflächen bearbeitet. Im ersten Arbeitsschritt trug man verschiedenfarbige Putzschichten über einander auf. In den meisten Fällen handelte es sich dabei um zwei Schichten. Dann wurden Teile der oberen Putzschicht abgekratzt und dadurch die darunterliegende, andersfarbige Putzschicht freigelegt. Im nördlichen Niederösterreich und in den Gebieten jenseits der Grenze wurde diese neue Technik mit Begeisterung aufgenommen. Älteren Gebäuden blendete man mit solcher Art dekorierte Schaufassaden vor, bei neu entstehenden Bauten wurden Fassadengliederung und geplantes Dekorationsschema gleich aufeinander abgestimmt. Man beschränkte sich dabei nicht nur auf geometrische oder florale Motive. Die meist protestantischen Hausbesitzer nützten die „gemalten“ Fassaden zur Dokumentation ihrer Gelehrsamkeit, zur Belehrung ihrer Mitbürger*innen und zur Demonstration ihres neuen Glaubens.

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Retz, Hauptplatz: Sgraffitohaus, ca. 1580 nach Stichen von Virgil Solis (© Elisabeth Vavra)

Auf den Fassaden tummelte sich das gesammelte Wissen der Renaissance: Zu Szenen aus dem Alten Testament und der Heilsgeschichte gesellten sich antike Tierfabeln und Personifikationen römischer und griechischer Götter. Mit mahnend erhobenem Zeigefinger prangerte man die Laster und Sünden der Welt an und erinnerte damit an die Vergänglichkeit des Lebens und das drohende Ende der Welt. Ein eindrucksvolles Beispiel für solch ein Programm ist etwa das Sgraffitohaus in Retz: Verbindendes Element der beiden Fassaden – eine auf den Hauptplatz ausgerichtet, die andere in der Kremserstraße – sind die Darstellungen der zehn Lebensalter des Mannes und der Frau zwischen dem zweiten und dritten Geschoß. Ergänzend dazu zeigt die Front zum Hauptplatz Sagen aus dem klassischen Altertum, die zur Kremserstraße hin Szenen aus dem Alten Testament. Ergänzt wurden die bildlichen Darstellungen noch durch Inschriften, Textauszügen und belehrenden Sprüchen.
Vermutlich zwei Gründe waren mit für die Beliebtheit dieser Dekorationstechnik maßgeblich: Zum einen zeichnet sich die Technik im Vergleich zu in Freskotechnik ausgeführten Malereien durch eine gute Haltbarkeit aus; zum anderen gab es mit den im 16. Jahrhundert weit verbreiteten Holzschnitten und Kupferstichen ideale Vorlagen, sowohl was die Inhalte betraf wie auch ihre graphische Gestaltung, die man eins zu eins ins Medium des Sgraffito umsetzen konnte. So benutzte etwa der Gestalter des Retzer Sgraffitohauses Holzschnitte von Virgil Solis, Jost Amman und des sächsischen Monogrammisten I.R.

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Horn, Kirchenplatz 3: Bezirksgericht, Sgraffitofassade, bezeichnet 1583 (© Elisabeth Vavra)

Das Gemalte Haus in Eggenburg und sein Programm

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Eggenburg, Gemaltes Haus, Fassade Hauptplatz – Zustand 2016 (© Elisabeth Vavra)

Anlass für den vorliegenden Blogbeitrag ist ein Jubiläum: Vor genau 475 Jahren entstand die Sgraffito-Fassade dieses Bürgerhauses in Eggenburg, belegt durch die Jahreszahl 1547, die in der Inschrift unter dem Hauptgeschoß auf der Fassade zum Hauptplatz aufscheint: Als man zelt nach der Gepurt / Jesu Christi MDXLVII den XII. Tag May […].Vermutlich schon um 1533 hatte man das mächtige Eckhaus unter Einbeziehung älterer Bauteile errichtet. Die in der Literatur zur Geschichte des Hauses vertretenen Meinungen über die Bauherren bzw. frühen Besitzer gehen auseinander: Tietze in der Kunsttopographie identifiziert das Wappen auf der Lunette über dem Hauptportal als Wappen der Familie Heggenmüller von Dubenweiler, Brunner als Wappen der Familie Schönauer. Für Brunner war das Haus Ecke Kremserstraße/Hauptplatz aufgrund von Einträgen im Stadtbuch, die sich auf Hauskäufe beziehen, ab 1529 im Besitz des Wolfgang Schönauer, der für den Um- bzw. Neubau ab 1533 verantwortlich zeichnete. Das Familienwappen in der Lunette wird vom österreichischen Wappen und einem Schilde mit einem ankerförmigen Hauszeichen und den Initialen H. K. flankiert.
Ursprünglich waren beide Schaufassaden dreigeschossig gestaltet und durch eine Zinnenbekrönung abgeschlossen. Erst später trug man obere Teile der Blendwände ab, um das mächtige Satteldach aufsetzen zu können. Markant sind die beiden Erker: an der Hausecke ein Eckerker mit einem dreiteiligen Fenster über einem umlaufenden Maßwerkparapet; an der Platzseite ein Breiterker, dessen Fenster von einem Muschelabschluss bekrönt wird. In der Muschel steht ein prachtvoller Hirsch.

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Die Lunette über dem Hauptportal mit dem Wappen der Familie Schönauer oder Heggenmüller von Dubenweiler, darüber die im Text erwähnte Inschrift (© Elisabeth Vavra)

Betrachtet man heute die Sgraffiti und vergleicht sie mit älteren Aufnahmen, so erkennt man, wie erbarmungslos die Zeit gewütet hat. Noch im 19. Jahrhundert waren die Sgraffiti deutlich lesbar, wie etwa die vor der Restaurierung aufgenommenen Fotos im Bericht Suidas zeigen, derer sich auch die Kunsttopographie bedient hat. Mit Schuld an dem heutigen Zustand waren auch Restaurierungsmaßnahmen des frühen 20. Jahrhunderts, zu einem Zeitpunkt, als die damals geläufigen Konservierungsmaßnahmen den Verfall der Putz- und Dekorationsschichten eher beschleunigten als aufhielten. In Eggenburg wurde 1903 der Maler Hans Lukesch mit der Restaurierung der Sgraffiti beauftragt. Dies geschah in Abstimmung mit der für Denkmalpflege zuständigen k.k. Zentralkommission.

 

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der Breiterker zum Hauptplatz hin (© Elisabeth Vavra)

Nach einer ersten Untersuchung zeigte sich, dass sich die Sgraffiti in einem schlechteren Zustand befanden als angenommen. Der auf den alten Aufnahmen deutlich erkennbare farbliche Unterschied zwischen Zeichnung und Grund beruhte nicht wie angenommen auf der dunkleren Putzschicht, sondern auf Schmutz, Staub, Flechten und Moosen, die sich untrennbar mit der farbigen Schicht verbunden hatten. Lukesch meinte dazu in seinem Vorbericht: Es würde sich die Zeichnung vom hellen Grund nicht mehr trennen lassen und schon bei geringer Entfernung überhaupt nicht sichtbar sein. Er schlug ein leichtes Färbeln des Untergrundes vor, um die Zeichnungen noch lesbar zu machen. Besonders betroffen davon war die Fassade in der Kremserstraße.

Die alten Aufnahmen sowie erhaltene Umzeichnungen des 19. Jahrhunderts erlauben eine Rekonstruktion des ikonographischen Programmes. Die Fassade in der Kremserstraße ist in drei Zonen geteilt. Die oberste Zone – heute nahezu völlig zerstört – beginnt mit der Weltenschöpfung. Daran schließen in pilastergerahmte Felder eingestellte Planetenbilder an: Saturn – Jupiter – Mars – Sol – Venus – Merkur – Luna. Als Vorlagen dienten Holzschnitte, die Hans Burgkmair um 1510 in Augsburg geschaffen hatte. Begleitet wurden sie von vierzeiligen Versen, in denen die Eigenschaften der Planetenkinder geschildert wurden. In der zweiten Zone setzen Szenen aus dem Alten Testament die Erzählung fort: der Sündenfall Adams und Evas – Kain, der Abel erschlägt – Abraham, der Isaak opfert – Jakobs Traum von der Himmelsleiter. Die unterste Zone ist wieder Ereignissen aus dem Alten Testament gewidmet: Josua als Feldherr – der Selbstmord des Königs Saul – Verspottung des Hiob – David tötet Goliath – Susanne begleitet von Justitia – Esther.

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Eggenburg, Gemaltes Haus, Fassade in der Kremserstraße – Zustand 2016 (© Elisabeth Vavra)

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Umzeichnung der Dekoration des gemalten Hauses in Eggenburg – Fassade in der Kremserstraße, Illustration aus: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild, Band 2, Wien 1888, S. 311 (© Topographische Sammlung, NÖ Landesbibliothek)

Überwiegen auf der Fassade zur Kremserstraße hin die erzählenden Elemente, so sind es auf der Hauptfassade zum Marktplatz hin die belehrenden. Am ausführlichsten wird das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus illustriert und mit erklärenden Texten versehen. Der Haupttext dazu ist nur mehr teilweise lesbar: […] und auff Erden ein gutte Muet. Nun mus er prinnen in der Helen Gluet. Und Lazarus must auff Erden vil leiden. nun lebt er bey Gott in den ewigen Freiden. Daneben in der obersten Zone sitzt Lazarus in grossen Freuden – so die begleitende Inschrift – in Abrahams Schoß. In der Zone darunter sehen wir den reichen Prasser gemeinsam mit seiner Gattin tafelnd; bedient werden beide von einem Teufel. Eine Tür öffnet sich links, vor dieser kauert der hungernde Lazarus. Die begleitende Inschrift mahnt die Betracher*innen: O Mensch trinck und iss, gott darneben nit vergiss. Die Szene im Band darunter zeigt den reichen Prasser im Höllenfeuer, der von musizierenden Teufeln verhöhnt wird.

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Jakobs Traum von der Himmelsleiter (aus: Suida 1903, Abb. 103)

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Eggenburg, Gemaltes Haus, Der reiche Prasser und der arme Lazarus (aus: Suida 1903, Abb. 104)

Dieses Band zieht sich weiter über den Flacherker und die anschließende Wandfläche. Es folgt das Gleichnis vom Sämann an der Vorderseite des Flacherkers, daran anschließend die die Begegnung Jesu mit dem kanaanäischen Weib als Beispiel für den rettenden Glauben: Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde (Mt. 15, 21–28). Abschließend folgt das Gleichnis vom stolzen Pharisäer und dem demütigen Zöllner (Lk 18, 9–14) als Beispiel für das richtige Gebet.

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Der Reichsadler und die Brustbilder Kaiser Ferdinands I. und seiner Gemahlin Anna, darunter das Inschriftband mit der Datierung (© Elisabeth Vavra)

In dieses Sgrafitto-Band ragen die Schwanzfedern des Reichsadlers, der seine Schwingen in der obersten Zone zwischen den Brustbildern von Kaiser Ferdinand I. und seiner Gemahlin Anna ausbreitet. Als Vorlage diente ein Holzschnitt des Nürnbergers Erhard Schön. Das Ausbrechen der Ladenfenster zerstörte weitere Bilder im Erdgeschoß; von diesen blieb nur mehr eine Inschrift – Marcus Curtius – erhalten. Vermutlich handelte es sich dabei um eine Abfolge von Helden des Altertums. Die Fassaden des Gemalten Hauses in Eggenburg sind wie die anderen Sgrafitto-Häuser im Waldviertel eindrucksvolle Zeugen der neuen selbstbewussten Haltung der bürgerlichen Oberschicht. Mit den Bilderwänden ihrer Häuser wollten sie ihren wirtschaftlichen und sozialen Status demonstrativ zur Schau stellen, aber auch ihren von Humanismus und Reformation geprägten Geist. Wie es hinter diesen Fassaden tatsächlich aussah, ist eine andere Geschichte.
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Autorin: Prof.in Dr.in Elisabeth Vavra

Literatur:

Wolfgang Baatz, Zur Erhaltung historischer Sgraffitifassaden, in: Zur Restaurierung, 1. Teil: Historische Schmucktechniken an Fassaden (Denkmalpflege in Niederösterreich 14), St. Pölten 1995, S. 16–21.
Ludwig Brunner, Eggenburg. Geschichte einer niederösterreichischen Stadt, Band 2, Eggenburg 1939, S. 55–58.
Martha Fingernagel-Grüll, Zur Geschichte der österreichischen Denkmalpflege. Die Ära Helfert, Teil II: 1892 bis 1910, Wien 2020, S. 386–388.
Ulrike Knall-Brskowsky, Historische Fassadendekorationen in Niederösterreich, in: Zur Restaurierung, 1. Teil: Historische Schmucktechniken an Fassaden (Denkmalpflege in Niederösterreich 14), St. Pölten 1995, S. 12–15.
Konstanze Amelie Knittler, Sgraffitomalerei als Fassadenschmuck kleinstädtischer Bürgerhäuser des nördlichen Niederösterreichs, Diplomarbeit Universität Wien 2001.
Wilhelm Suida, Über die Renovierung der Sgraffiti am „gemalten Haus“ zu Eggenburg vom Jahre 1547, in: Mitteilungen der K.K. Zentral-Kommission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale 3. Folge, 2 (1903) S, 349-360.
Hans Tietze (Bearb.), Die Denkmale des politischen Bezirkes Horn (Österreichische Kunsttopographie 5), Wien 1911, S. 56–69.

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