100 Jahre Frauenwahlrecht

© NÖ Landesarchiv

Teil 1: Der Kampf um Mitbestimmung

Sind Frauen überhaupt, durch Vollmacht oder persönlich als Urwählerinnen activ wahlberechtigt?“ – so steht es in einem Telegramm, das der Bezirksvorsteher von St. Pölten im März 1861 an den Statthalter in Wien schickt. Kurz vor den ersten Landtagswahlen in Niederösterreich herrscht Unsicherheit darüber, ob Frauen auch wählen dürfen. Das Wahlrecht in der Habsburgermonarchie bindet das Stimmrecht an die Steuerleistung und schließt damit Frauen nicht ausdrücklich aus.
Da das Eigentum der Frau mit der Eheschließung in den Besitz des Mannes übergeht, können ledige Frauen oder Witwen, die über Grund- oder Hausbesitz oder ein Gewerbe verfügen, wählen–aber nur dann, wenn ihre Stimme durch einen männlichen Vertreter abgegeben wird. Ein politisches Engagement ist allen Frauen gleichermaßen verboten, da ihnen per Gesetz die Bildung von politischen Vereinen untersagt ist.

Telegramm NÖLA
Telegramm des Bezirksvorstehers in St. Pölten an den Statthalter in Wien betreffend Wahlrecht für Frauen, 13.3.1861 (Niederösterreichisches Landesarchiv
Für einen kurzen Zeitraum im 19. Jahrhundert ist also das Geschlecht nicht vorrangig entscheidend für das Wahlrecht auf kommunaler und regionaler Ebene. Dies sollte sich bald ändern: 1888 – 27 Jahre nach der ersten Landtagswahl – wird den steuerzahlenden Frauen in Niederösterreich das Stimmrecht für den Landtag wieder entzogen. Es folgt eine Debatte darüber, Frauen fortan auch von der Gemeinderatswahl auszuschließen.
Als Reaktion darauf organisieren sich Frauen, um für ihr Stimmrecht zu kämpfen. Die grundsätzlichen Fragen der politischen Teilnahme von Frauen und ihrer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wurden bereits während des Revolutionsjahrs 1848 aufgebracht. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wird nun erstmals das Frauenwahlrecht zum Thema: Um einige mutige und visionäre Persönlichkeiten wie Auguste Fickert, Marie Schwarz, Therese Schlesinger, später auch Marianne Hainisch und Ernestine von Fürth, formieren sich politische Frauenrechtsbewegungen. Die Frauen versuchen, sich mittels Unterschriftenpetitionen an Reichsrat und Landtag Gehör zu verschaffen; Frauenzeitungen, Artikel und Broschüren sollen die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums erregen. Demonstrationen und Aufmärsche tragen die politischen Anliegen in den öffentlichen Raum.
1892 nimmt die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs die Forderung nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht ohne Unterschied des Geschlechts in ihr Parteiprogramm auf. Dies trifft zum Teil auf wenig Unterstützung bei den männlichen Parteimitgliedern. Im Rahmen einer allgemeinen Wahlrechtsdiskussion in den Jahren 1905 und 1906 verzichtet die sozialdemokratische Frauenbewegung vorerst auf ihren Anspruch auf das Frauenwahlrecht. Bereits 1903 betonte der Parteivorsitzende Victor Adler, dass die Frauen zurückstehen müssten, um die Erlangung des Männerwahlrechts nicht zu gefährden.
1907 wird das sogenannte „allgemeine“ und „gleiche“ Wahlrecht für den Reichstag eingeführt, das Frauen explizit ausschließt. Der Begriff „allgemeines Wahlrecht“ geht in dieser Auslegung vom Grundsatz aus, dass die Interessen der Frauen durch ihre Vormünder wie Väter oder Ehemänner ausreichend vertreten werden.

Text: Andrea Thuile, MA
Abbildung: Telegramm des Bezirksvorstehers in St. Pölten an den Statthalter in Wien betreffend Wahlrecht für Frauen, 13.3.1861 (Niederösterreichisches Landesarchiv), http://www.noe.gv.at/noe/Landesarchiv/Landesarchiv.html

Literatur:
Birgitta Bader-Zaar, Einführung des Frauenwahlrechts im internationalen Vergleich. Anlässlich der Tagung „Einführung des Frauenwahlrechts und die Demokratiegründungen nach dem Ersten Weltkrieg“ (Hans Böckler Stiftung, München 2017).
Antonia Meiners, Die Stunde der Frauen zwischen Monarchie, Weltkrieg und Wahlrecht. 1913-1919 (München 2013).
Heidi Niederkofler (Hg.), Frauentag! Erfindung und Karriere einer Tradition. Begleitbuch zur Ausstellung "Feste.Kämpfe. 100 Jahre Frauentag", 4. März bis 30. Juni 2011, Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien (Wien 2011).
Corinna Oesch, Das Frauenwahlrecht. Eine historische Bestandsaufnahme. In: Isabella Feimer (Hg.), Frauen. Wahl. Recht (St. Pölten 2018), 13-28.

Links:
http://www.demokratiezentrum.org/themen/demokratieentwicklung/frauenwahlrecht.html
https://www.onb.ac.at/forschung/ariadne-frauendokumentation/frauen-waehlet/

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