Museum zu Gast: Keramik Museum Scheibbs

Scheibbs, Keramik Museum Scheibbs (© Elisabeth Vavra)

Seit 1993 sammeln Johanna und Prof. Hans-Hagen Hottenroth Erzeugnisse der Scheibbser Keramik. Angeregt wurde die Sammeltätigkeit, die das Ehepaar Hottenroth bis in die USA führte, durch Kontakte mit Mitgliedern der ersten Gründungsjahre. Sie konnten noch Gespräche mit Hilde Heger und Elisabeth Krippel führen. Die Nachkommen des Brennmeisters Florian Steinkellner ermöglichten den Zugang zu Prospekten, Katalogen und Werkverzeichnissen, die penibel die einzelnen in der Werkstatt produzierten Formen verzeichnet hatten. Derzeit umfasst die Sammlung fast 2500 Objekte, die im Keramik Museum Scheibbs zu besichtigen sind. Den Gedanken, der hinter dieser Sammeltätigkeit steht, formuliert Prof. Hans-Hagen Hottenroth so: „In einer Zeit, in der Tradition und kulturelles Erbe fast keinen Stellenwert haben, sehen wir als wichtiges Ziel unserer Bemühungen und als die Hauptaufgabe des Museums die Objektsicherung und die Präsentation dieser Keramikproduktion, die in ihrer Vielfalt und künstlerischen Qualität weit über der jeder vergleichbaren Provinzmanufaktur liegt und einen Vergleich mit den Produkten der Wiener Werkstätte nicht zu scheuen braucht.“

Schon das Museumsgebäude selbst ist ein historisch interessanter Ort. Die Lage direkt am Erlauf-Ufer verrät bereits die ursprüngliche Nutzung des Gebäudeensembles. Hier wurde einst die Wasserkraft für den Betrieb eines Hammerwerks genutzt. Aus dem alten Heuberghammer entstand 1864 die Firma Gaißmayer & Schürhagl, die sich auf die Fabrikation von Achsen spezialisierte. Wagenachsen, Stösselachsen, Mutternachsen, Flügelachsen, Kalesch-Schmierachsen und Pflugachsen entstanden hier, später auch Bremsen für Wagen aller Art. Im folgenden Jahrzehnt wurde der Betrieb weiter ausgebaut: Die Errichtung einer Weichgussfabrik ermöglichte die Produktion von Zahnrädern, Messingbüchsen, Muttern usw. Modernisierungen erfolgten 1908 mit der Errichtung eines Wehrs in der Erlauf und um 1911 mit der Inbetriebnahme einer Dampfturbine. Mit dem Auseinanderfallen der Monarchie 1918 verlor die Fabrik die Absatzmärkte in der Bukowina, in Polen, Ungarn, Galizien und Bosnien-Herzegowina. Sechs Jahre später wurde die Fabrik geschlossen.

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Fabrik A. Gaissmayer & Schürhagl, 1867 (© josef hesse - book, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1838199)

100 Jahre Tonindustrie Scheibbs

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Ludwig Weinbrenner (1881–1966, © Hans-Hagen Hottenroth)
Das Areal und die links und rechts der Erlauf gelegenen Gebäude erwarb nach und nach Ludwig Weinbrenner, der 1923 gemeinsam mit Erwin Salcher, Rudolf Knörlein und Friedrich Schmidtchen die Compagnie Tonindustrie Scheibbs gegründet hatte.
Wer war dieser Ludwig Weinbrenner? 1881 war er in Wien als Sohn eines Wiener Großgärtners zur Welt gekommen. Sein Studium an der Technischen Universität brach er ab und betätigte sich fortan als Züchter seltener Pflanzen. Nach dem frühen Tod seiner ersten Ehefrau heiratete er 1919 zum zweiten Mal. Familiäre Zwistigkeiten führten zu seiner Übersiedlung nach Scheibbs. Er erwarb dort das Gut Scheibbsbachhof, auf dessen Gründen er eine Gärtnerei anlegte. Als er auf seinem Grundstück ein Tonvorkommen entdeckte, gründete er 1923 kurzentschlossen eine kunstkeramische Produktionsstätte, die ein Jahr später auf das Areal der aufgelassenen Fabrik übersiedelte. Seine regen Kontakte mit der Wiener Kunstszene waren diesem Vorhaben höchst förderlich. In seinem offenen Haus gingen Künstler der Wiener Werkstätte ein und aus.

Sein Mitbegründer und erster Werksleiter Rudolf Knörlein (1902–1988) hatte zunächst bei der Gmundner Keramik das Handwerk gelernt, dann sein Wissen in der Wiener Kunstgewerbeschule und der Wiener Werkstätten-Schule vertieft. Die enge Verbindung zur Wiener Werkstätte zeigt sich auch in dem Umstand, dass in der Frühzeit manche Objekte mit dem Scheibbser Stempel und dem der Wiener Werkstätte versehen sind. In dieser Zeit arbeiteten in Scheibbs die Powolny-Schülerinnen Gundi (1900–1986) und Elisabeth (1901–1995) Krippel, als Volontärin die junge Gudrun Baudisch (1907–1982), die gerade in Graz an der Bundeslehranstalt für das Baufach und Kunstgewerbe studierte und nach dem Zweiten Weltkrieg die Hallstätter Keramik gründen sollte, Walter Bosse (1904–1979) und Kitty Rix (1901–1951). Mit Hilde Heger (1925–1927) und Helene Dörr (1924–1926) kamen weitere Schülerinnen der Wiener Werkstätte nach Scheibbs. Sie hatten u.a. bei Vally Wieselthier (1895–1945) studiert.

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Vasen nach Entwürfen von Josef Hoffmanns, Frauenkopf: vermutlich Gudrun Baudisch (© Elisabeth Vavra)

Den zunächst raschen Aufschwung verdankte die Tonindustrie Scheibbs ihrer Ausrichtung auf den Export. Mehr als 80 Prozent wurde ins Ausland geliefert: Hauptabnehmer waren neben Europa vor allem Nord- und Südamerika. Verständlich, dass die Firma nach dem schwarzen Freitag 1929 in schwere wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, die sich bereits in den Jahren zuvor durch den ambitionierten Ausbau der Firma abgezeichnet hatten. Künstler:innen und Fachleute mussten entlassen werden. Aus Angst vor einem Verfahren wegen fahrlässiger Krida floh Weinbrenner 1932 nach Paraguay. 1933 wurde Konkurs angemeldet, die Firma geschlossen. Nach einem Zwischenspiel mit Villeroy & Boch als Eigentümer für ein Jahr etablierte sich 1937 die Scheibbser Keramik als Nachfolgebetrieb.

Die Produkte der Tonindustrie Scheibbs

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Links: Weintraubenschale, Entwurf: Gundi Krippel (© Elisabeth Vavra), rechts: Obstschüssel (© Hans-Hagen Hottenroth)

In der Produktion von Tellern, Schüsseln, Schalen, Krügen und Vasen knüpfte man in den Formen an die überlieferte heimische Hafnertradition an. Zu den Dauerbrennern zählte u.a. die sog. Traubenschale, die nach dem Entwurf von Gundi Krippel in großer Stückzahl noch Jahre später produziert wurde. Und das, obwohl die Schwestern Krippel keineswegs über die Kreation begeistert waren. In einem 1993 geführten Interview äußerte sich Elisabeth Krippel noch immer abfällig über den Entwurf: „Mein Gott, die war damals schon hässlich, sie ist es noch immer!“

Das Besondere an den Erzeugnissen der Tonwaren Scheibbs war deren Vielfalt an Farben und Glasuren sowie die Liebe zum Detail. Weinbrenner und seine Mitarbeiter:innen waren, was Farben und Glasur anging, ständig auf der Suche nach neuen und ausgefallenen Lösungen. Kein Modell wurde gleich dem anderen bemalt und glasiert. Dabei hatte man manchmal aus der Not eine Tugend gemacht, denn gerade in den Anfangsjahren waren oft nicht genügend Mengen derselben Farbe vorhanden, so bemalte und glasierte man dieselbe Form oft jeden Tag in einer anderen Farbe. Daneben gab es auch den üblichen ländlichen Dekor – ländliche Szenen mit Bauern und Jägern – oder auch nur Gesichter, alle allerdings mit höchst expressiven Pinselstrichen auf den Untergrund gesetzt.

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Vase, Entwurf Hilde Heger (© Elisabeth Vavra)

Groß war die Nachfrage nach Gartengeschirren wie Über-, Bonsei- und Kaktustöpfen und Jardinieren (= längliche Pflanztöpfe). Weinbrenner benötigte diese Tonwaren natürlich auch für seine eigene Gärtnerei, sie verkauften sich aber auch gut. Denn sie waren eher außergewöhnlich. In Ausgestaltung und Dekor spiegelten sie die Liebe Weinbrenners zur und seine Kenntnis der fernöstlichen Kultur wider. Entwickelt hatte sich diese seit 1910/11, als er im Auftrag der Regierung an einer Exkursion nach Japan, China und Sumatra teilgenommen hatte. Die Reise trat er als Mitglied einer Kommission auf einem Torpedoboot der k.u.k. Marine an. Der Grund für diese Exkursion waren die Pläne Kaiser Franz Josephs, den dalmatinischen Karst wieder aufzuforsten. Dieser war ja nicht natürlichen Ursprungs, sondern durch die zerstörerischen Eingriffe der Venetianer entstanden, die ohne Rücksicht auf Folgen die Wälder abgeholzt hatten. Die Japaner waren führend in ihrem Wissen um Wiederaufforstungen, deshalb die Reise nach Asien.

Weinbrenner brachte von seinen Reisen exotische Pflanzen, Kunstschätze und Kuriositäten mit, darunter auch Pflanzgeschirre, von denen er in Scheibbs Gipsformen anfertigen und in Serie nachproduzieren ließ. Einmalig sind die Gartengeschirre durch ihre Bemalung.

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Blumenübertöpfe sowie Pflanzgeschirre (© Elisabeth Vavra)

Dürfte ich mich im Keramik Museum Scheibbs „bedienen“, dann wären mein Ziel die Vitrinen mit den in den 1920er Jahren in der Tonindustrie Scheibbs geformten figuralen Kreationen. Die erhaltenen Skizzenblätter des Brennmeisters Florian Steinkeller zeigen Katzen, Hunde, Esel, Steinböcke, Schildkröten, Elefanten usw. usw., nicht zu vergessen natürlich Gnome und Fabeltiere. Die grotesk und bizarr wirkenden Tierfiguren und Gnome erfreuten nicht nur das Auge, sie dienten meist auch einem praktischen Zweck: So schultern sie Kerzenhalter, Kakteentöpfchen oder Salz- und Pfefferbehälter, stützten Buchreihen oder trugen Lampen. Einige der Entwürfe dürften von Walter Bosse, der an der Wiener Kunstgewerbeschule seine Ausbildung erfahren hatte, und von Kitty Rix, die in der Wienerberger Werkstätten-Schule für Keramik gelernt hatte, stammen. Manche davon erreichten beachtliche Größe, wie etwa der Elefant in Elefanten-Baby-Größe, der heute in einer Vitrine des Museums gehalten wird.

Durch die sich schon früh abzeichnenden finanziellen Schwierigkeiten konnte Weinbrenner die Wiener Künstler:innen nicht lange halten. Die Schwestern Krippel hatten schon 1923 Scheibbs verlassen. Helene Dörr wurde 1926 gekündigt. Ein Jahr später verließ Hilde Heger den Betrieb. Hand in Hand mit dem personellen Aderlass büßte die Werkstatt auch künstlerische Qualität ein. Man lebte von den frühen Entwürfen, die ohne große künstlerische Ambitionen reproduziert wurden. Immer stärker drangen alpenländische Motive in das Repertoire ein, vermutlich weil sie sich nach dem Wegbrechen des überseeischen Marktes in Österreich und Deutschland besser verkaufen ließen. Damit wurde der Weg für die Nachfolgefirma, die Scheibbser Keramik bereitet – aber das ist eine andere Geschichte.

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Links: Fabeltier als Schalenträger, rechts: Fabeltier als Träger eines Kerzenleuchter (© Elisabeth Vavra)

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Autorin: Prof.in Dr.in Elisabeth Vavra

Verwendete und weiterführende Literatur:
Hans-Hagen Hottenroth, Die Tonindustrie Scheibbs (1923-1933) – Scheibbser Keramik (seit 1937), Scheibbs 1994.
Hans-Hagen Hottenroth, Keramik-Museum Scheibbs. Aus der Sammlung von JOHANNA und HANS-HAGEN HOTTENROTH, Scheibbs 2007.

Keramikmuseum Scheibbs
Erlafstraße 32
3270 Scheibbs

Öffnungszeiten von 1. Mai bis 26. Oktober:
Freitag bis Sonntag (und Feiertag) 10:00 – 12:00 und 14:00 – 17:00 Uhr
Gruppen jederzeit nach Anmeldung:
+43 7482/42 267 oder +43 676/558 40 91

Weitere Informationen zum Keramikmuseum Scheibbs finden Sie unter: www.keramikmuseumscheibbs.at

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