Einhorn und Apotheke

© NÖ Museum Betriebs GmbH, Foto: Fabian Röper

Im Rahmen der Geschichte-Sonderausstellung "Bader, Medicus, Primar - Gesundheitswesen in Niederösterreich" (http://www.landesmuseum.net/de/ausstellungen/sonderausstellungen/bader-medicus-primar) stellen wir wöchentlich einen interessanten Beitrag zum Thema vor. 


Bader, Medicus, Primar 1 / 22

Wie das Einhorn in die Apotheke kam

In Deutschland gibt es mehr als 100 Apotheken, die das magische Tier Einhorn im Namen führen. In barocken Klosterapotheken recken sie stolz ihre gedrehten Hörner in die Luft. Aber wer sind diese Tiere und warum finden sie sich in Apotheken?
 

Das Einhorn als geheimnisvolles Geschöpf  beschäftigt seit Jahrtausenden Geist und Gemüt des Menschen. Persische Künstler schufen schon im 2. Jahrtausend vor Christi kleine Skulpturen dieses Wesens. Ihr Körper ähnelt dem der Gazellen, aus ihrer Stirn sprießt ein gebogenes, geriffeltes Horn, vergleichbar dem eines Steinbocks. Siegel der Indus-Kultur zwischen 2300 und 1750 vor Christi zeigen einhornartige Tiere. Aus den Gebirgen Indiens kam die Mär vom Einhorn über die Texte der Bibel, über die Dichtungen und Schriften der Griechen und Römer, über dem nahen Orient nach Europa.
 

Einhorn © thinkstock, Marina Yakutsenya
Das Einhorn ist ein scheues und wildes Tier. Die Beschreibungen seiner Gestalt in den Quellen variieren: Bald ist das Tier groß wie ein Berg, bald klein und zierlich, dass es einer Dame als Schoßhündchen dienen konnte. Ähnlich vielfältig wie seine Gestalt ist auch seine Bedeutung, die ihm durch das Christentum zugeschrieben wird: Mal steht das Einhorn für das Böse, den Tod und den Teufel; bald steht das Fabeltier für Christus selbst,  für dessen Demut. Das Einhorn steht nicht nur für Keuschheit; genauso kann es Sinnbild der hemmungslosen Wollust sein. Daher diente sein pulverisiertes Horn auch als Aphrodisiakum.
Die erste frühchristliche Naturkunde, der „Physiologus“, beschreibt das Einhorn als „kleines Lebewesen, wie ein Böckchen, aber ganz außerordentlich leidenschaftlich.“ Es lässt sich nur durch eine Methode fangen: „Eine reine Jungfrau, fein herausgeputzt, werfen sie [die Jäger] vor es hin, und es springt in ihren Schoß; und die Jungfrau säugt das Lebewesen und bringt es in den Palast zum König.“

Ktesias von Knidos, der griechische Arzt und Megasthenes, der griechische Diplomat, berichteten bereits von der Heilkraft des Horns des Einhorns; Es vertreibe Gifte und heile Krankheiten. Später erzählte der Physiologos über dessen wundersame Wirkung: Kommt das Einhorn zu einer vergifteten Quelle, dann bewegt es sein Horn in Kreuzesform über das Wasser und schon wird die Quelle trinkbar.

Ausstellungseinblick "Bader, Medicus, Primar"
Foto: H. Lackinger, Einhornkopf mit Narwalzahn,
Zwettl 17. Jh. (Stift Zwettl, Stiftsammlung)
Auch Hildegard von Bingen (1098-1179), die große mittelalterliche Gelehrte, nutzte in ihren Rezepten die Heilkraft des Einhorns; allerdings verwendete sie dessen Leber und mischte daraus eine Salbe, die Aussatz heilen sollte. Einen Gürtel aus Einhornleder empfahl sie zur Abwehr von Krankheiten. Den Huf des Einhorns pries sie als Mittel, um mögliches Gift in Speisen und Getränken anzuzeigen: „Sind Speise und Trank vergiftet und sind sie warm, so lässt der Huf sie in dem Gefäß wallen, sind sie kalt, so lässt er sie dampfen. So kann man erkennen, dass sie vergiftet sind.“
Die ersten Hörner dieses geheimnisvollen Tieres kamen zu Beginn des 13. Jahrhunderts über die Handelsrouten aus dem Osten nun tatsächlich nach Europa. Es wurde durch Jahrhunderte zu einem kostbaren Gut, dessen Besitz Fürsten und Reichen vorbehalten blieb. Vorsichtig kratzte man von den gedrehten Hörnern Substanz ab, und mischte dieses Pulver in Salben, Pillen oder Heiltränke. Es sollte bei Vergiftungen helfen, bei Fieber, Pest oder Kinderkrankheiten. Aus Einhorn gefertigte Becher oder Besteck mit Einhorngriffen sollten den Benutzer vor Vergiftung bewahren. 


Ein-Pfund-Münze mit Einhorn rechts,
© thinkstock, Ken Drysdale

In den Inventaren der Reichen und Mächtigen wurden Einhörner und deren Wert vermerkt: 10.000 Pfund war ein solches wert, das 1558 im Inventar der englischen Königin Elizabeth I. verzeichnet wurde. Vier solcher kostbarer Stücke befanden sich im Besitz der Bayreuther Hohenzollern. In Dresden bewahrte man eines im Wert von 100.000 Talern auf. Wurde zu medizinischen Zwecken Pulver abgeschabt oder gar ein Ring davon abgeschnitten, musste immer ein Beauftragter des Fürsten die Aktion überwachen. Selbst Martin Luther nahm auf dem Totenbett noch ein Getränk aus Wein mit Pulver vom Einhorn vermischt als Arznei zu sich. Der hohe Preis und die große Nachfrage riefen natürlich auch die Fälscher auf den Plan, die Kiesel und Kalk fein pulverisierten, mit Seife mischten und als „Einhorn“ verkauften. Auch ein solcher Brei oder Teig begann zu schäumen, kam er mit Flüssigkeit in Berührung.


Ausstellungseinblick "Bader, Medicus, Primar" Foto: F. Röper
Einhornkopf mit Narwalzahn, Zwettl 17. Jh. (Stift Zwettl, Stiftsammlung)
Im 16. Jahrhundert gelangten die Einhörner in die städtischen Apotheken: So führte etwa der Freiburger Arzt und Apotheker Dr. Joachim Schiller das Einhorn in seinem Wappen und ließ es als Relief auf seinem Haus anbringen. Abraham a Santa Clara erwähnte in seinen Predigten eine Apotheke „Zum weißen Einhorn“. Hörner wurden auf Pferdeköpfe montiert und in städtischen oder klösterlichen Apotheken stolz präsentiert.
Narwal © thinkstock, Andreas Meyer
Die Existenz der Einhörner wurde aber nicht von allen als gegeben hingenommen. Nach frühen Zweiflern im Mittelalter nahm die Zahl derer im 16. Jahrhundert weiter zu. Der Streit wurde schriftlich und mündlich von den Kathedern der Hochschulen ausgetragen. Durch den vermehrten Handel mit Grönland und Spitzbergen im 17. Jahrhundert kamen die wunderlich geformten Hörner in immer größerer Zahl nach Europa, stammten sie doch vom Narwal, der im gesamten arktischen Ozean verbreitet war und dessen Stoßzähne an die Küsten der angrenzenden Ländern gespült wurden.
 

Verwendete Literatur: Rüdiger Robert Beer, Einhorn. Fabelwelt und Wirklichkeit, München 1972.
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

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