Die große Reise des kleinen Braunkehlchens – Vogel des Jahres 2023

Abbildung 1: Singendes Braunkehlchen (Saxicola rubetra, Männchen) © Shutterstock 2172159109, Foto: gergosz

Es ist brütend heiß hier in der Sahara. Obwohl es erst März ist, sind 35 Grad untertags hier keine Seltenheit. Die Hitze steht über der Wüste und zerrt an meinen Kräften, löst Stress in mir aus. Dabei habe ich erst einen kleinen Teil meiner langen Reise nach Europa zurückgelegt. Ich ruhe mich gerade mit meinen Artgenossen in einer schattigen Oase aus und versuche ein wenig Futter in meinen Schnabel zu bekommen.

Hallo, ich bin das Braunkehlchen

Heute erzähle ich euch meine Geschichte. Dabei erfahrt ihr nicht nur, was für Abenteuer ich durchlebe und wie ich sie meistere, sondern auch, wie wir gemeinsam die Welt für alle ein bisschen lebenswerter machen können. Außerdem verrate ich euch noch, was mich zum Vogel des Jahres 2023 macht und warum es mich ohne „grünes Band“ vielleicht gar nicht mehr gebe. Kommt mit und begleitet mich ein Stück auf meiner Reise.

Der weite Weg

Endlich verschwindet die Sonne hinter dem Horizont und die Hitze lässt allmählich nach. Ich lasse die Oase hinter mir und breche wieder auf, ziehe durch die kühle Nacht, um mich vor der Hitze zu schützen. Ich orientiere mich an den Sternen und kann das Magnetfeld der Erde „sehen“. Hier birgt die Sahara auch Vorteile. Aufgrund der dünnen Besiedelung gibt es kaum Lichtverschmutzung und elektromagnetischen Störfelder. Das kann sonst meine Navigation stark beeinflussen.

Es ist eine lange und beschwerliche Reise. Ich bin bereits einige Wochen unterwegs. Das Futter, das ich auf meinen Rastplätzen finde und meine Fettreserven, die ich vor der Reise aufgebaut habe, reichen nur knapp. Kaum habe ich die Sahara verlassen kommt die nächste große Hürde. Die Straße von Gibraltar liegt vor mir und gilt es zu überqueren. Die starken Winde machen meinem nur etwa 13cm großen und 20g leichten Körper im Flug schwer zu schaffen.

Erschöpft erreiche ich Europa. Ich bin unaufmerksam und schon ist es zu spät, ich habe mich auf eine Leimrute gesetzt. Erst jetzt bemerke ich, dass sich andere Vögel hier bereits verfangen haben. Manche sind sie schon verendet. Ich versuche mich panisch loszureißen. Ich glaube schon aufgeben zu müssen, doch dann gelingt es mir doch noch. Erschöpft und mit Stresshormonen vollgepumpt lande ich ein Stück weiter auf einem sicheren Ast. Ich hatte wohl nochmal Glück, dass es eine Stelle mit wenig und bereits angetrocknetem Leim war und auch meine Flügel sauber geblieben sind. Fast wäre ich den Wilderen auf den „Leim gegangen“. Bei Leimruten handelt es sich um eine grausame und illegale Fangmethode bei der Äste mit Leim beschmiert werden, damit (Zug)vögel sich dort verfangen. Viele Vögel gelten in Mittelmeerländern als Delikatesse, allerdings verenden auf Leimruten auch vielen andere „unerwünschte“ Vögel.

Die letzten Nächte meiner Reise umfliege ich die für mich klimatisch gefährlichen Alpen nordseitig. Lauernde Eulen und schlecht zu sehende Strommasten gilt es zu meiden. Doch dann, ist es endlich so weit. Nach zwei langen Monaten Reise erreiche ich erschöpft und ausgehungert mein Brutrevier: den Truppenübungsplatz Allentsteig.

Sommerfrische in Allentsteig

Hier fühle ich mich wohl. Als Bodenbrüter benötige ich extensiv genutzte Blütenwiesen oder Brachen. Das hohe Gras gibt mir Schutz und die Blüten locken auch eine meiner Hauptnahrungsquellen an, die Insekten. Ich schlage mir meinen Bauch voll, um wieder zu Kräften zu kommen. Eines Tages im Mai, als ich auf meiner Ansitzwarte, (z. B. Distel, Strauch oder Zaunpfahl) sitze, um Nahrung aufzulauern, verspüre ich einen entzückenden Drang im mir hochsteigen. Ein Braunkehlchen-Männchen sitzt unweit von mir entfernt. Sein Gesang ist das Schönste, das ich jemals gehört habe! Der Gesang zieht mich magisch an. Ich fliege dem Männchen zu und wir „beschnuppern“ uns. Wir machen unseren typischen „Knicks“ und wippen mit dem Schwanz. Die Hormone steigen an und alles in uns sagt „guter Genmix, paaren!“

Sofort überkommt mich der nächste Instinkt, der sagt: Nestbauen, jetzt! Also beginne ich in einer geschützten Wiesenmulde mit dem Nestbau aus Gräsern und Moos. Mein Partner bringt mir auch Halme und anderes nützliches Nistmaterial, was man auf einer naturnahen Wiese so findet … Die Architektin bin aber ich.

Neues Leben entsteht

Schon nach zwei Wochen Brutzeit geschieht es: fünf kleine Braunkehlchen-Junge schlüpfen. Jetzt heißt es kreischende Mäuler stopfen! Hier in Niederösterreich sind die Tage jetzt lang, das schafft mir mehr Möglichkeiten, Fressen zu finden. Doch ich bin auch Gefahren ausgesetzt. Beschäftigt damit, genug Futter für die Jungen zu finden, entgeht mir fast ein Sperber auf der Wiese.
Instinktiv nehme ich die sogenannte Pfahlstellung ein, bei der ich mit Kopf nach oben verharre. So kann ich den Sperber gut beobachten, ohne mich selbst zu bewegen. Es funktioniert. Für den Sperber bleibe ich unsichtbar und er zieht weiter.

Auch meine Jungen sind jetzt etlichen Gefahren wie Marder, Fuchs und Schlangen ausgesetzt. Nach knapp zwei Wochen im Nest werden sie flügge und fangen allmählich an, ihre Nahrung selbst zu fangen. Die ersten Wochen unterstütze ich sie ein wenig bei der Nahrungssuche, bis sie schließlich losziehen, um sich ein eigenes Revier zu suchen.

Braunkehlchen
Abbildung 2: Braunkehlchen (Saxicola rubetra, Männchen), Braunkehlchen (Saxicola rubetra, juvenil, rechts), v.l.n.r. Junges Braunkehlchen möchte gefüttert werden. © Shutterstock 1718418076, Foto: Karin Jaehne

Verlust von Lebensraum

Das wird nicht einfach. Naturnahe Lebensräume wie hier in Allentsteig gibt es immer weniger. Die Verwendung von Pestiziden vernichtet unsere Lebensgrundlage. Es gibt dadurch nicht nur weniger sichere Bodenbrutplätze, auch unsere Hauptnahrungsquellen, Insekten, Würmer und Spinnen verschwinden zunehmend.

Was braucht es?

Bewusstseinsschaffung. Auch ihr Menschen seid Puzzlestücke des Ökosystems Erde und könnt euren Teil beitragen. Auch wenn es gerade in eine andere Richtung geht, habt ihr schon einmal bewiesen, dass ihr etwa durch extensive Landwirtschaft die Biodiversität sogar fördern könnt!

Und jetzt konkret für das Braunkehlchen?

  • Weniger oft und später mähen. Jedes Stück Wiese, dass erst ab Mitte Juli gemäht wird, hilft, einen sicheren Brutplatz zu schaffen.
  • Holzstangen oder Zaunpflöcke einschlagen. Sie dienen als Ansitzwarten für das Braunkehlchen
  • Strukturen schaffen. Kleinere Felder mit Hecken bieten gute Verstecke und Brachen dazwischen helfen Insekten Nahrung zu finden.
  • Dazu braucht es die Zusammenarbeit zwischen Landwirt:innen, Naturschützer:innen und Politik.

Es braucht aber auch die Kraft jedes einzelnen. Jedes Gespräch über das Braunkehlchen oder Artenschutz hilft. Jedes regional gekaufte Bio-Produkt hilft.

Das grüne Band

Manchmal hilft paradoxerweise aber auch, die Dinge einfach sein zu lassen. Das beste Beispiel dafür ist das Grüne Band. Damit wird der Bereich des ehemaligen Eisernen Vorhanges bezeichnet der sich wie eine Nord-Süd-Achse quer durch Europa zieht. Dieser 50-200m breite Streifen war über Jahrzehnte von der Wirtschaft vergessenes Land und es haben sich Biotope und Rückzugsräume von außergewöhnlicher Vielfalt gebildet.

Um das auch zu erhalten, braucht es aber wiederum mutige Taten wie etwa die des Geoökologen Kai Frobels. In den 1970er Jahren, damals Schüler, hatte er bei seinen Beobachtungen in Deutschland erkannt, dass sich über 90% aller Braunkehlchens am Grenzstreifen aufhielten. Diese Erkenntnis war bahnbrechend. Dem darauffolgenden unermüdlichen Einsatz Kai Frobels und seinen Mitstreitern ist es zu verdanken, dass das grüne Band in Deutschland großflächig geschützt wurde. Heute ist Kai Frobel Leiter des Grünen-Band-Projektes beim Bund Naturschutz Deutschland. Wer weiß, ohne Menschen wie Kai Frobel, gäbe es jetzt vielleicht auch keine Braunkehlchen mehr.

In Österreich setzt sich der Naturschutzbund Österreich für das grüne Band ein.
An der österreichischen Grenze verläuft das Grüne Band über 1300 km! Es durchquert u.a. den Nationalpark Thayatal und Neusiedlersee-Seewinkel und andere Schutzgebiete. Aber nicht alle Gebiete sind unter Schutz gestellt.

Vogel des Jahres 2023

Jetzt, fast 50 Jahre nach dem Beginn der legendären Kai-Frobel-Story, sind Braunkehlchen wieder stark bedroht. Der Bestand ist in Österreich auf bis zu 80% seit 1998 zurückgegangen. Das Braunkehlchen ist in Österreich nur noch lückenhaft verbreitet, aktuell werden 950-1500 Brutpaare geschätzt. Die Ernennung zum „Vogel des Jahres“ soll Bewusstsein schaffen für den drohenden Verlust des Braunkehlchens, aber auch für den Verlust des Lebensraums zahlloser anderer Arten, die als Stützen zahlreicher Ökosysteme wirken.

Aufbruch in neue Sphären

Hallo, ich bin das Braunkehlchen. Der Herbst naht und meine Gene sagen mir, es ist Zeit für Veränderung. Zeit für einen Aufbruch. Ich kann diese Zeichen nicht länger ignorieren und obwohl hier alles noch so friedlich wirkt, erhebe ich mich in die Lüfte und spüre den Wind der Veränderung. Ich bin aber nicht allein. Ich sammle mich mit meinen Artgenossen und wir ziehen gemeinsam los auf unsere Reise. Denn gemeinsam sind wir stark.

Braunkehlchen_sitzend
Abbildung 3: Braunkehlchen (Saxicola rubetra), sitzend auf Grashalm © Shutterstock 2319058613, Foto: Jiri Fejkl

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Autor: Lois Gretzmacher


Quellen/weiterführende Links:

KHIL, L. (2018): Vögel Österreichs. Franckh-Kosmos Verlags-Gmbh & Co., Stuttgart
SVENSSON, L., MULLARNEY, K., & ZETTERSTRÖM, D. (2011) Der Kosmos Vogelführer. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/vogel-des-jahres/2023/index.html
mit kurzer Gesangs Aufnahme!

https://www.nabu.de/news/2015/08/19375.html
Bericht über Vogelfang

https://kaernten.orf.at/stories/3209890/
Bericht über erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Politik/Landwirtschaft/Naturschutz

https://www.birdlife.at/page/presse

https://noe.orf.at/v2/news/stories/2845050/#:~:text=Hier%20leben%20laut%20BirdLife%20derzeit,Oberösterreich%20mehr%20als%201.000%20Brutpaare.

https://naturschutzbund.at/vision-des-groessten-biotopsystems-der-welt.html

https://birdlife.at/page/vogel-des-jahres

https://www.bund-naturschutz.de/natur-und-landschaft/gruenes-band/geschichte-gruenes-band


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