Johanniskraut

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Bader, Medicus, Primar 5 / 22

Seit den 90er Jahren wählt der Studienkreis „Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Universität Würzburg, dem Medizinhistoriker, Ärzte, Apotheker und Biologen angehören, die „Arzneipflanze des Jahres“. Für 2015 kürten sie das Echte Johanniskraut.
Johanniskraut, Bild: thinkstock, Alex Rath
Die Gattung der Johanniskräuter ist äußerst vielfältig und umfasst weltweit mehr als 450 Arten. In unseren Regionen kommen bis zu neun verschiedene Arten nebeneinander vor. Das „Echte Johanniskraut“ erkennt man u.a. an seinem zweikantigen Stängel. Sind schon Knospen oder Blüten vorhanden, dann hilft ein weiteres Erkennungsmerkmal: Zerreibt man die Blütenblätter, so färbt der austretende Saft die Finger rot. Die Pflanze findet man an Weg- und Wiesenrändern; sie wird bis zu 90 cm hoch.
Den Namen Johanniskraut trägt die Pflanze, weil sich in der Zeit rund um das Fest Johannes' des Täufers am 24. Juni je nach Witterung die Knospen zeigen oder sich bereits die gelben Blüten öffnen. Das ist dann der Beginn für die Sammelzeit der Knospen und Blüten. Seit der Antike trägt die Gattung der Johanniskräuter den Namen „Hypericum“. Das Echte Johanniskraut heißt mit lateinischen Namen Hypericum perforatum, was auf eine weitere Eigenart der Pflanze verweist: Betrachtet man die Blätter gegen das Licht, so erblickt man zahlreiche kleine Punkte, die den Anschein erwecken, als seien die Blätter fein durchstoßen. Bei den Pünktchen handelt es sich um Öldrüsen, die einen der Wirkstoffe der Pflanze, das Hypericin, enthalten.

Johanniskraut, Bild: thinkstock
Die Beliebtheit der Pflanze und ihre vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten spiegeln sich im Variantenreichtum der Bezeichnungen im Volksmund, der das Kräutlein u.a. als Antoniuskraut, Blutkraut, Brustkraut, Donnerkraut, Eisenhart, Feldhopfenkraut, Feuerkraut, Fieberkraut, Frauenkraut, Gottesblut, Hanskraut, Hanskräutel, Hasenkraut, Herrgotsblume, Herrgotsträne, Herrgottsblut, Herrgottskraut, Hexenkraut, Jesuwunderkraut, Johannesbettstroh, Johannisblut, Johannishartheu, Johannisschweiß, Kälberkraut, Kleine Johannisblume, Kranzkraut, Leibwehblume, Liebeskraut, Löcherkraut, Marienkraut, Mariens Bettstroh, Muttergotteskraut, Siebenundsiebziglöcherkraut, Sonnenwendkraut, Tausendloch, Tausendlöcherkraut, Teufelsfluch, Teufelsflucht, Teufelskraut, Tüpfelhartheu, Unseres Herrn Wundkraut, Waldhopfenkraut, Walpurgiskraut, Wundstroh oder Wurmgras bezeichnet.

Seit der Antike schätzte man die Vielfalt der Anwendungsgebiete des Krautes bei der Behandlung von Krankheiten. So empfahl der griechische Arzt Dioskurides, der im 1. Jahrhundert n. Chr. als Militärarzt im Dienste der Römer stand und mit seinem Werk „Materia Medica“ zum berühmtesten Pharmakologen des Altertums wurde, das Kraut als Umschlag gegen Brandwunden und die reife Frucht des Krautes, in Honigwasser eingelegt, gegen Ischias. 

Johanniskraut, Bild: thinkstock
Paracelsus (geb. um 1493-1541) widmete dem Echten Johanniskraut eine ausführliche Erläuterung, in der er dessen Wirkung nicht nur als Wundheilmittel, sondern auch als Vertreiber der Melancholie – und als Wurmmittel pries.
Eines der ausführlichsten und originellsten Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts stammt aus der Feder des Botanikers und Mediziners Tabernaemontanus – eigentlich Jacobus Theodorus  (1522/5-1590); sein Name „Tabernaemontanus“ ist eine latinisierte Form seines Geburtsortes Bergzabern in Rheinland-Pfalz. Tabernaemontanus war zunächst als Kräutersammler in Weißenburg im Elsass tätig; dann studierte er Medizin in Padua und Montpellier. Nach seiner Rückkehr betrieb er in Weißenburg eine Apotheke. Für seine weitere Laufbahn war die Begegnung mit dem Botaniker Hieronymus Bock maßgeblich. 1588 erschien sein „Neuw Kreuterbuch“ im Druck, ein Werk mit fast 1600 Seiten und mehr als 2000 Holzschnitten.
In den Texten zu den einzelnen Pflanzen beschreibt Tabernaemontanus diese nicht nur genau aus botanischer Sicht, sondern sammelt auch das Wissen um ihre Wirkweise und greift dabei auf vergangene Autoritäten zurück. Zum Johanniskraut zitiert er etwa Dioskurides und den flämischen Botaniker und Arzt Rembert Dodoens, genannt Dodonaeus (1516/17-1585). Dann geht er auf die Wirkung bei innerer und äußerer Anwendung des Krautes ein: Siedet man das Kraut in Wein, so besitzt es harntreibende Wirkung, hilft bei Blasensteinen, wie die antiken Autoritäten berichten, und bei Menstruationsbeschwerden. Der so gewonnene Saft dient auch als Mittel gegen das dreitägige Fieber. Äußerlich angewendet beschleunigt es die Wundheilung und wirkt gegen Entzündungen. Frauen, die in Kindsnöten liegen, sollen mit dem Kraut beräuchert werden, deshalb wird das Johanniskraut auch Frauenkraut genannt. Im Anschluss beschreibt Tabernaemontanus die Herstellung von Johanneskrautwasser und Johanniskrautöl. 


Johanniskraut, Bild: thinkstock
Beide Mittel empfiehlt er bei Schlaganfall, roter Ruhr, bei Koliken und Verdauungsbeschwerden jeglicher Art. Er empfiehlt auch die Verwendung des Johanneskrautes als Apotropäum gegen Gespenster und Ungewitter. Hier wird man wohl an eine Anwendung als Räucherkraut denken. Tabernaemontanus folgte in seinen Angaben seinem Lehrer Hieronymus Bock, der in seinem „New Kreuterbuch“ ganz ähnliche Wirkweisen des Krautes beschrieben hatte. 
In den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kräuter- und Arzneibüchern wird die heute bekannte stimmungsaufhellende Wirkung des Johanniskrautes nur selten erwähnt. In Zedlers „Grossem vollständigen Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste“, das in den Jahren 1732 bis 1754 erschien, wird dann das Rezept für eine Tinktur angeführt, deren Grundsubstanz  aus Johanneskraut gewonnen wird und die als Heilmittel gegen Schwermut, Raserei, Tollsucht und allgemein gegen Schwachheit des Geistes angepriesen wird. Dem Johanniskraut werden allerdings bei der Herstellung noch andere Substanzen wie Ackergauchheil (Anagallis arvensis) oder Eselsblut, das aus einer Ader hinter dem Ohr gewonnen wird, hinzufügt; sie alle werden gemeinsam destilliert, das Destillat wird mit Branntwein verdünnt und im Bedarfsfall eingenommen.
- Wohl bekomm’s!


Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

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