Gewöhnlicher Wasserschlauch – Blume des Jahres 2023

Gewöhnlicher Wasserschlauch (Utricularia vulgaris agg.) © Shutterstock 471442394, Foto: Hubert Schwarz

Fleischhungrige Schönheiten – Die Artengruppe des Gewöhnlichen Wasserschlauchs (Utricularia vulgaris agg.)

Es ist früh morgens in den Donau Auen am Rande Wiens. Meine Rangerin Kollegin und ich sind heute wieder in dieser atemberaubenden Gegend unterwegs. Boote, Rettungswesten, Stechpaddel, Verpflegung, die Route, wir gehen alles vor unserem Start noch einmal durch. Auch wenn sich der Nationalpark zwischen zwei Hauptstädten als „grüne Pufferzone“ demonstriert, die Stille beeindruckt uns jedes Mal von Neuem.

Doch das ändert sich schnell. Als wir mit den Booten die Altarme der Donau erkunden, begrüßen Graureiher und Schwarzspechte uns. Friedlich wirken die Feuchtgebiete der Donau. Niemand denkt an den Überlebenskampf, der sich über und unter Wasser abspielt. Die Fluten des Hochwassers, einstürzende Bäume, die Hitze der Sonne, all das kümmert uns nicht. Zu ergreifend zeigt sich uns der wilde Wasserwald mit seiner orchestralen Klangkulisse, dem bunten Farbenspiel und den intensiven Gerüchen. Wir entscheiden uns stillschweigend die Boote einmal treiben zu lassen. Die Augen fest verschlossen, hoffen wir möglichst viele dieser Botschaften aufzunehmen. Nach ein paar Momenten öffnen wir sie. Die Boote, oder besser gesagt das Wasser selbst, trieb uns zum Rand des Flusses. Dort entdecken wir ihn. Er wirkt zunächst unscheinbar. Sein Name klingt banal. Und doch staunen die meisten Menschen über die Artengruppe des Gewöhnlichen Wasserschlauchs. Diese Wasserpflanzen beeindrucken so sehr, dass der Verein zur Erforschung der Flora Österreichs und vom Naturschutzbund diese zur Blume des Jahres 2023 gekürt hat.

Eine (außer-)gewöhnliche Pflanze

Utricularia vulgaris agg., so nennt sie die Wissenschaft, ist alles andere als gewöhnlich. Sie brauchen keine Wurzeln, sie bilden Stolone (Geflecht aus unterirdischen Sprossen). Ohne Wurzeln schwimmt sie bis etwa 30cm freischwebend im Wasser und nimmt dieses über ihre stark geteilt Laubblätter auf. Auffallend sind die schmale, bewimperte Zipfeln an den Blättern. Das lateinische Wort Utriculus bedeutet „kleiner Schlauch“ und bezieht sich auf diese Fangbläschen. Die Sprosse selbst erreicht bis zu 2,5 Meter.  Die Turione (das sind Winterknospen) entwickeln sich am Ende des Jahres an den Triebspitzen und gelten als Überdauerungsorgane. Diese dicht mit kleinen Blättern besetzten Sprossspitzen erinnern an „Hasenbemmerl“ und tauchen in der Winterzeit ab. Im Frühjahr kehren sie zurück und bilden neue Sprossen.  Kleine Blasen an den Blättern fallen uns bei näherer Betrachtung auf. Mit diesen erbeutet diese Pflanze winzige Wasserlebewesen, was sie zu einer fleischessenden Pflanze macht. Die traubigen Blütenstände mit goldgelber Farbe, die im Juni und August zu bewundern sind, zieht Schwebfliegen und Bienen an. Die armen Insekten nutzen ihr ganzes Gewicht aus, um die Unterlippenwulst zu öffnen. Erst dann erwartet sie der Nektar. Zusätzlich setzen Wasserschläuche auch Samen ein, die im Wasser schwimmen können.

Gew. Wasserschlauch
© Shutterstock 1257038368, Foto: JIANG TIANMU

Überleben in der Überschwemmungszone

Über 240 unterschiedliche Arten zählen wir bei den Utricularia Arten. Von den feuchten Tropen und Subtropen Südamerikas, aber auch am Festland sind sie anzutreffen. Nährstoffarme, saure Torf- oder Sandböden, feuchte, überschwemmte Gebiete, Pfützen, Moorpolster, sogar Felswände oder Sickerfluren, Bäche, Seen, Tümpel, Utricularia gehören somit zu den weitverbreitetsten, fleischfressenden Pflanzen. Wir finden sie auf allen Kontinenten.

Fünf verschiedene Wasserschlaucharten unterscheiden wir in Österreich: Den gewöhnlichen Wasserschlauch (Utricularia vulgaris s.str.), den nordischen Wasserschlauch (Utricularia stygia), den kleinen Wasserschlauch (Utricularia minor s.str.), den mittleren Wasserschlauch (Utricularia intermedia s.str.) und den südlichen Wasserschlauch (Utricularia australis).

Gerade den Gewöhnlichen Wasserschlauch treffen wir in Tieflagen, aber auch auf 1000 Meter Seehöhe an. In Niederösterreich entdecken wir ihn besonders in den Röhrichtbereichen der Donau Auen, beispielsweise dem Groß-Enzersdorfer Arm, im Kühwörther Wasser und Eberschüttwasser.

Was den Wasserschläuchen „schmeckt“

In trüben Gewässern lauern Wasserschläuche ihrer Beute auf. Hüpferlingen, Kleinkrebschen und viele weitere müssen sich fürchten. Aber wie fängt diese faszinierende Pflanze die kleinen Auwald-Bewohner?  Es hat mit den kleinen Bläschen zu tun. Tausende sitzen auf einer einzigen Pflanze. Diese Kastenfallen messen nur zwei bis vier Millimeter. Der Eingang dieser Bläschen ist mit einem Deckel verschlossen. Dieser Deckel kann nur von innen geöffnet werden. An der Außenwand trägt dieser Deckel keulenförmige Drüsenhaare. Innen ist das Bläschen leer. Kommen nun Hüpferlinge vorbei, sondert der Wasserschlauch eine schleimartige Substanz ab. Der Beute scheint dieser Schleim zu gefallen und sie nähert sich der tödlichen Falle. Sobald der Hüpferling die feinen Drüsenhaare berührt, schnappt die Falle zu: Der Deckel öffnet sich und die Beute wird mitsamt dem Wasser in das Innere des Bläschens gezogen. Dieser Sog ist so schnell, dass sich das Opfer innerhalb von 1/100 bis 1/200 Sekunde in der Falle befindet. Dann geht der Deckel zu. Das Bläschen erscheint nun ziemlich rund. Das Tierchen ist gefangen. Von außen kommt nun kein Wasser rein. Der Wasserschlauch leitet das Wasser ab und erzeugt nun ein eiweißlösendes Ferment und Benzoesäure, um die Nahrung zu verdauen. Ist der Verdauungsprozess abgeschlossen, verengt sich das Bläschen wieder und die Jagd geht weiter. Wer sich das schematisch anschauen möchte, kann hier den gesamten Vorgang des Beutefangs auf YouTube ansehen (>>> zum Video).

Gew. Wasserschlauch unter Mikroskop
© Shutterstock 105343202, Foto: D. Kucharski K. Kucharska

Geschlauchte Wasserschläuche?

Auch wenn die Wasserschläuche alle Kontinente erobert haben, hat die Menschheit es geschafft, diese zu verdrängen. Mineralische Düngemittel in der Landwirtschaft, die dann in Gewässer gelangen, das Verbrennen fossiler Brennstoffe, die zunächst in die Luft, dann aber anderorts in den Boden gehen, die direkte Zerstörung von Nasslebensräumen wie das Trockenlegen und Abtorfen von Mooren und das Zuschütten von Tümpeln, tragen dazu bei. Diese „Fleischfresser“ stellen für uns keineswegs eine Bedrohung dar.

An den Standorten der Böhmischen Masse entdecken wir nur noch selten Wasserschläuche. Der Zierliche Wasserschlauch (Utricularia bremii), der mittlere Wasserschlauch (Utricularia intermedia s.str), der Blassgelbe Wasserschlauch (Utricularia ochroleuca), die wir in den 1990er Jahren noch bewunderten fehlen beispielsweise. Eine Auflistung der bei uns heimischen Arten ist hier zu finden: http://flora.lefnaer.com/cgi-bin/rl.pl?name=Utricularia .

Negativ könnte sich zusätzlich die Erhöhung der Wassertemperaturen durch die Folgen des Klimawandels auswirken, was geringeren Sauerstoffgehalt bedingt. Der Verlust von Feuchtgebieten stellt uns künftig vor eine große Herausforderung. Nicht nur die Blume des Jahres 2023 benötigt Wasser, auch wir sind davon abhängig. Daher wird es für uns Zeit, Verantwortung zu übernehmen.  

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Autor: Mag. Josef Keler
Kulturvermittler | Ranger im Nationalpark Donau Auen

Quellen und Links:
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