Ausflüge mit Geschichte(n): Tödliche Romanze und Wasserkraft: Raabs - Kollmitz

Titelbild: Die aufgestaute Thaya bei Raabs (© Elisabeth Vavra)

Ein Mausoleum und die größte Burganlage Niederösterreichs

Unser Ausflug beginnt in Raabs an der Thaya. Egal von welcher Richtung man sich der Stadt am Zusammenfluss der deutschen und mährischen Thaya nähert, ihr Bild wird von der um 1100 erstmals als „castrum Rakouz“ erwähnten Burg bestimmt. Sie war eine der größten und bedeutendsten Wehranlagen an dieser alten Grenze. Für seine nördlichen Nachbarn war Österreich jahrhundertelang „Rakousko“, das „Land hinter Raabs“ und bis heute trägt die Republik auf Tschechisch den Namen „Rakoucz“. Raabs und seine Umgebung waren schon um 1900 eine beliebte Urlaubsregion. Vielfältige Möglichkeiten bieten sich für eine Erkundung der Gegend an: zu Fuß, mit dem Rad oder im Kanu.

Die Wanderung, die ich Ihnen heute vorschlagen möchte, kann im gesamten Streckenablauf zu Fuß absolviert werden. Wer es bequemer mag, kann den ersten Abschnitt auch mit dem Auto zurücklegen. Unser erstes Ziel ist Kollmitzdörfl. Zu Fuß erreicht man den Ort über den Kollmitzsteig. Er führt über den mit der Nr. 630 markierten Thayatalweg zunächst am Flussufer entlang. Dann geht es über Wiesen und einen Waldweg  bis zum Jungfernstein. Bei einer Weggabelung schlagen wir den Weg Richtung Kollmitzdörfl ein. Wer nur einen kurzen Spaziergang machen will, kann mit dem Auto bis zu dem Ort fahren. Es gibt dort Parkmöglichkeiten.

Das „dorff ze Cholmuncz“

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Kollmitzdörfl, im Vordergrund das Jägerhaus, daran anschließend die „Meierei“ (© Elisabeth Vavra)
Im Jahr 1362 findet sich die erste Nennung des Ortes. Zunächst bestand das Dorf nur aus einem Meierhof, der zur Burg Kollmitz gehörte. Später gesellten sich fünf kleine Bauernhöfe dazu. In den „Freiheiten und Rechte“ des Marktes Raabs von 1533 wurden die Bewohner als Collmintzer erwähnt: Auch sie hatten ihren Beitrag zur Erhaltung der Brücke über die Thaya zu leisten: Wenn nötig, mussten sie einen enßbaum (= Brückenbaum, der auf den Pfeilern ruht) liefern. Der nahe Kollmitzberg – leicht erkennbar durch den weithin sichtbaren Sendeturm des ORF – war Teil des Warnsystems, das nach der ersten Türkenbelagerung 1529 eingerichtet wurde. Sollte Gefahr drohen, musste auf ihn ein Kreidfeuer entzündet werden. Tagsüber setzte man einen Holzstoß aus feuchtem Holz in Brand. Der aufsteigende Rauch signalisierte die drohende Gefahr, nachts war es der Feuerschein von trockenem Holz.

Um 1700 wurden östlich des Meierhofes zwei kleine Häuser für den Rossknecht und den Jäger errichtet. Die Gebäude waren einfache Katen, aus ungebrannten Lehmziegeln erbaut, mit Stroh und Schindeln eingedeckt. Ihre Bewohner arbeiteten als Maurer, Weber und Taglöhner für die Herrschaft. Seit 1708 gehörte die Herrschaft Kollmitz zur Herrschaft Raabs. Um 1795 hatten 12 untertänige Häuser ihre Abgaben abzuliefern: 61 Personen lebten in den Häusern – 32 Männer und 29 Frauen. Dazu kamen 12 Zugochsen, 8 Kühe, 10 Schafe und 5 Zuchtschweine.

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In Kollmitzdörfl steht eine mächtige Sommerlinde – seit 1927 Naturdenkmal, zu ihren Füßen eine Johannes Nepomuk-Statue (© Elisabeth Vavra)

Wir schlagen in Kollmitzdörfl nicht gleich den Weg Richtung Ruine Kollmitz ein, sondern gehen zunächst die Hauptstraße bergauf, bis zu einer Gabelung; der rechts abzweigende Weg führt uns zunächst zum Mausoleum der Familie Klinger von Klingerstorff, dem wir einen Besuch abstatten wollen. Der Weg ist eindeutig beschildert. Er führt uns zunächst über Wiesen, vorbei an zwei beeindruckenden Linden, die Naturdenkmäler sind, bis zum Waldrand. Von hier sind es nur mehr wenige Minuten bis zu unserem ersten Ziel.

Die Tragödie von Raabs

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Auf dem Weg zum Mausoleum (© Elisabeth Vavra)
Im Juni des Jahres 1926 waren die Zeitungen voll von Berichten über den „mysteriösen Mordanschlag gegen einen Großgrundbesitzer“ (Illustrierte Kronen Zeitung), die „Tragödie von Raabs“ (Die Neue Zeitung, Illustrierte Kronen Zeitung), „Das Ehedrama in der Familie bei Hugo Klinger“ (Prager Tagblatt) oder das „Zerbrochene Eheglück“ (Allgemeiner Tiroler Anzeiger). Im Mittelpunkt der Tragödie standen Baron Hugo Klinger von Klingerstorff, Schlossherr zu Raabs und seine Gemahlin Sibylle. Sie stammte aus einer prominenten Familie. Ihr Vater war Markus Graf von Spiegelfeld, der seit 1907 das Amt des Statthalters von Tirol und Vorarlberg bekleidet hatte. Hugo Klinger hatte seine zukünftige Gemahlin während des Ersten Weltkriegs im Lazarett in Troppau kennengelernt. Die Ehe wurde 1916 geschlossen. Drei Kinder kamen zur Welt.

1925 begab sich die Baronin wegen einer Lungenkrankheit nach Meran. Dort lernte sie den zehn Jahre jüngeren russischen Emigranten Cyrill Konstantin Orlow kennen, der sich als russischer Großfürst ausgab. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Klavierspieler. Eine Liaison begann. Als die Baronin wieder nach Raabs zurückkehren musste, gestand sie ihrem Gatten den Seitensprung. Trotz gegenteiliger Versprechen traf sie weiter den jungen Russen. Am 29. Mai kam er zum ersten Mal nach Raabs. Er stieg als Karl Kelenkampf, Student aus München, im Gasthof Rudrof ab. Das Liebespaar plante, wie spätere Untersuchungen ergaben, einen Mordanschlag. Am folgenden Tag fuhr er mit dem Rad nach Großau, wo sich das Jagdrevier des Barons befand. Unter dem Vorwand, ein Tierfotograf  auf der Suche nach Motiven zu sein, versuchte er sich eine Erlaubnis zum Betreten des Reviers zu verschaffen. Er erhielt sie, allerdings erst für den kommenden Tag. Allerdings traf der Förster den Fremden bereits an diesem Tag im Forst an und verscheuchte ihn. Vermutlich war bereits an diesem Tag der Mordanschlag geplant. Orlow hielt sich den nächsten Tag noch in Raabs auf und kehrte dann am Montag mit der Bahn nach Wien zurück.

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Das Klinger-Mausoleum nächst dem „Uhu-Felsen“ (© Elisabeth Vavra)
Am Mittwoch, den 2. Juni fuhr Orlow, der im Hotel Sacher residierte – vermutlich auf Kosten der Baronin, die ihren Liebhaber aushielt – mit einem Taxi in Begleitung seines Freundes Emmerich von Somoghi nach Raabs. Auf der Straße Richtung Großau stieg die Schlossherrin bei der Sägemühle zu. Die Fahrt ging weiter Richtung Kollmitzdörfl. Nach einigen Kilometern musste der Chauffeur auf Geheiß der Baronin halten. Sie wies auf ein Gehölz und sagte: „Da ist das Revier!“ Orlow stieg aus; das Taxi brachte die Baronin zur Sägemühle zurück, um dann wieder ins Revier zu fahren. Über die Geschehnisse, die sich nun im Wald abspielten, gab es zwei Versionen. Der Chauffeur und der Freund Orlows waren nur Ohrenzeugen: Sie hörten nur zwei Schüsse, die fielen. Zunächst kam es anscheinend zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen Baron Klinger und Orlow, die im Wald aufeinander trafen. Nach der Version des Barons wandte sich dieser mit den Worten „Ich habe mit Ihnen nichts mehr zu sprechen“ ab und wollte wieder zum Hochsitz gehen. Orlow zückte darauf eine Repetierpistole und schoss ihm in den Rücken. Baron Klinger hatte noch die Kraft, sich umzudrehen und aus seinem Jagdgewehr einen Schuss abzugeben, der Orlow den Arm zerschmetterte, gerade in dem Moment, in dem dieser seinen zweiten Schuss abgeben wollte. Nach der Version Orlows stammten die Schusswunden der beiden Männer von einem Duell. Ein zufällig  mit einem Leiterwagen vorbei kommender Bauer brachte den verwundeten Baron nach Raabs. Orlow schleppte sich zum wartenden Taxi. Zunächst wollte er über die tschechische Grenze gebracht werden, dann nach Horn, um sich die Wunde, die ihm angeblich ein Wilderer zugefügt hatte, versorgen zu lassen. Dem widersetzte sich der Chauffeur, da er nicht in einen Kriminalfall verwickelt werden wollte. Er brachte Orlow und dessen Freund nach Raabs zurück und lieferte sie gleich beim Gendarmerieposten ab. Seinen  Fuhrlohn in der Höhe von 2 Millionen Schilling erhielt er noch.

Orlov wurde inhaftiert und zur Behandlung seiner Schusswunde ins Spital nach Waidhofen an der Thaya gebracht. Gendarmerie und Bezirksgericht setzten die Untersuchungen des Vorfalls fort. Vor allem ging es darum, die Rolle der Baronin Klinger zu klären. Auf die mehrmals geäußerten Aufforderungen zur Einvernahme zu erscheinen, reagierte die Baronin nicht. Ihr Vater, der sich ebenfalls auf Schloss Raabs aufhielt, entschuldigte das Fernbleiben mit ihrem hochgradigen Erregungszustand. Die nächste Tragödie bahnte sich an: Sibylle Baronin Klinger von Klingerstorff erschoss sich mit einer Waffe, die sie in ihrem Zimmer versteckt hatte. Am 5. Juni wurden ihre sterblichen Überreste am Friedhof von Raabs beigesetzt. Baron Klinger ließ in der Nähe des Uhu-Felsens am Steilabfall zur Thaya das Mausoleum errichten. Nach der Fertigstellung 1929 wurde ihr Sarg hierher überführt. Auch ihr Gemahl und ihre Kinder fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Cyrill Orlow verstarb wenige Tage später, am 15. Juni, im Spital zu Waidhofen an der Thaya an den Folgen einer Lungenentzündung.

Kollmitz – Die mächtigste Burg Niederösterreichs

Vom Mausoleum führt ein schmaler Steig zur Burgruine Kollmitz. Vom Uhu-Felsen bietet sich ein wunderbarer Ausblick auf die Hadlitzbergschlinge. Ein rot-gelb markierter Waldweg führt nun zur sog. Böhmischen Mauer; der ca. 160 m lange Mauerzug wurde um 1450 zum Schutz vor den Truppen Georg von Podiebrad errichtet. Weiter geht es hinunter zur Burgruine.

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Die Burgruine Kollmitz, zu ihren Füßen die Siedlung Kollmitzgraben (© Elisabeth Vavra)
Die Burg war Teil einer Burgenkette als Grenzschutz an der Thaya. Ihre ersten Erwähnungen reichen in das 13. Jahrhundert zurück. Die Besitzer wechselten im Mittelalter häufig. Von 1398 an bis 1620 war die Burg im Besitz der Freiherren von Hofkirchen. Dann folgte ab 1693 das Stift Pernegg. Als Sommerresidenz des Propstes Franz von Schöllingen wurde der Osttrakt weiter ausgebaut. 1708 vereinigte der neue Besitzer Franz Anton von Quarient und Raal die Herrschaft Kollmitz mit der Herrschaft Raabs. Damit setzte der Verfall ein. Um 1800 wurden die Dächer und Zwischendecken zerstört, um so die Ablieferung der Hausklassensteuer zu vermeiden. Seit 1932 ist sie im Besitz der Stadt Waidhofen an der Thaya. 1974 konstituierte sich ein Verein zur Rettung der Ruine, der seitdem hervorragende Arbeit leistet.

Die rund 120 m lange, zwischen 22 und 66 m breite Burganlage teilt sich in eine südliche zum Spornende führende Hochburg und eine nördlich vorgelagerte Vorburg. Die ältesten Teile lagen auf dem höchsten Punkt des Felsgrates. Ab 1300 unter den Herren von Wallsee kam es zum Ausbau: Der hoch aufragende Bergfried entstand, ebenso ein lang gestreckter Saalbau im Süden. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurde der dem Nordwest-Trakt östlich vorgelagerte Wohnturm errichtet. Unter den Herren von Hofkirchen kam es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zum Bau der ungewöhnlich groß dimensionierten Vorburg. Noch heute bestimmt der in dieser Zeit entstandene Batterieturm an der Nord-Seite das Aussehen der Ruine.

Das Dorf zu Füßen der Burg – Kollmitzgraben

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Die für das Kleinkraftwerk aufgestaute Thaya bei Kollmitzgraben (© Elisabeth Vavra)
Selbst wenn man die kurze Ausflugsvariante gewählt hat und das Auto in Kollmitzdörfl geparkt hat, sollte man von der Ruine in das Thayatal hinabsteigen. Denn den Blick vom Tal auf die Burg sollte man sich nicht entgehen lassen. Lange Zeit war Kollmitzgraben die kleinste selbständige Gemeinde in Niederösterreich. Sie ging aus einer Guts- und Handwerkssiedlung hervor: Eine Mühle an der Thaya, ein Meierhof, ein Brauhaus und eine Schmiede bildeten das Zentrum. 1840 wurde eine Kartonfabrik errichtet, 1882 die Mühle zu einem Sägewerk umgebaut. Das Wasserrad wurde durch eine Turbine ersetzt, die Strom erzeugte. 1924 wurde das Kraftwerk Kollmitzgraben durch die Thaya-Elektrizitätswerke in Betrieb genommen; 1945 kam das Kleinkraftwerk in den Besitz der NEWAG, 2000 übernahm die evn naturkraft den Betrieb. In den Jahren 2006-2007 erfolgte eine Revitalisierung der Kraftwerksanlage, die heute ein Industriedenkmal darstellt.

Heute ist Kollmitzgraben Teil der Marktgemeinde Ludweis-Aigen. In den 29 Häusern wohnen derzeit 54 Einwohner, davon haben nur 26 ihren ständigen Wohnsitz hier. Um 1900 waren es noch 230. 1904 errichteten die Dorfbewohner aus eigenen Mitteln eine Volksschule, um den 47 Kindern den vor allem im Winter beschwerlichen Schulweg nach Aigen zu ersparen. 1950 waren es noch 30 Kinder, die hier unterrichtet wurden. 1970 wurde der Schulbetrieb eingestellt.

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Die Burgruine Kollmitz, zu ihren Füßen die Siedlung Kollmitzgraben (© Elisabeth Vavra)

­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­Zurück nach Raabs an der Thaya

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„Grasel’s Lehrstück“ in Raabs – Oberndorf Nr. 8 (© Elisabeth Vavra)
Der Weg zurück nach Raabs führt über die Thayabrücke in Kollmitzgraben,  beim E-Werk abzweigend durch das alte Mühlgebäude. Ein unmarkierter Fahrweg führt hinauf nach Sauggern. Man durchquert das Dorf, bei einem Bildstock geht es dann zum Waldrand. Auf einem Steg überquert man den Seebsbach und geht dann bergauf in den Ort Lindau. Rechts dann auf einen Agrarweg einbiegend, hinauf zu einer Anhöhe, die einen wunderschönen Blick auf die Stadt Raabs und ihre Umgebung bietet; der Weg führt dann hinunter zum Lagerhaus in Raabs. Die Hamerlingstraße führt zum Thayasteg und damit wieder in das Zentrum von Raab an der Thaya (Karte unter https://www.waldviertel.at/a-ritterweg-ruine-kollmitz).

Wenn noch Zeit ist, lohnt sich ein Spaziergang durch die Stadt, die viel Sehenswertes zu bieten hat. Teile der mittelalterlichen Stadtbefestigung etwa oder im Ortsteil Oberndorf  die Pfarrkirche –  am höchsten Punkt der Ansiedlung im Mittelalter errichtet. Und gleich daneben „Grasel’s Lehrstück“: Im Haus Nr. 8 verübte am 17. März 1806  der später berüchtigten Räuberhauptmanns Johann Georg Grasel seinen ersten Einbruch.

 

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

Quellen:

  • Bernhard Baumgartner, Wandererlebnis Waldviertel. Die schönsten Wege, St. Pölten 1997, S. 135ff.
  • Ders., Wandererlebnis Waldviertel & Wachau, St. Pölten 2002, S. 106 ff.
  • Falko Daim, Karin und Thomas Kühtreiber (Hgg.), Burgen. Waldviertel Wachau Mährisches Thayatal, 2. Aufl. Wien 2009, S. 394 ff.
  • https://www.raabs-thaya.gv.at/ (mit weiteren Hinweisen zu Freizeitaktivitäten)

 

 

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