Hildegard Joos

© NÖ Museum Betriebs GmbH

Frauenportrait #29

Hildegard Joos – Pionierin des österreichischen Konstruktivismus


Hildegard Joos © Slg. Gertraud und Dieter Bogner
Der Konstruktivismus hatte es „immer ordentlich schwer gehabt, bei einem etwas breiteren Publikum anzukommen, obschon er bei kleinen Kreisen von aufgeklärten Kennern jeweils sehr geschätzt wurde.“ (Harold Joos) Mit den Arbeiten von Künstlern wie Kasimir Malewitsch, Wladimir Tatlin, El Lissitzky und Piet Mondrian war international bereits ein solides Fundament gelegt, und doch schlug dem Konstruktivismus wie auch der konkreten Kunst in Österreich traditionell eine Ablehnung entgegen, die auf der Unterstellung eingeschränkter individualistischer Schöpfungskraft und schwerer Vermittelbarkeit der Werke fußte. Es scheint schwer zu begreifen zu sein, dass „die banal anmutenden Kompositionen, Monochromie inbegriffen, durchaus Resultate langer komplizierter Denkprozesse sein können.“ (Jan Tabor) Bei aller Skepsis gegenüber konkreter und konstruktivistischer Kunst in Österreich haben diese Stilrichtungen doch auch hierzulande immer wieder Lichtmomente erlebt, einige davon durch Hildegard Joos.

Das Frühwerk der österreichischen „Grande Dame“ der geometrisch-abstrakten Malerei war gemäß dem zur Nachkriegszeit gängigen Kunstempfinden noch deutlich dem Figürlich-Expressiven verpflichtet. Ende der 1950er-Jahre erfuhr ihr künstlerisches Selbstverständnis jedoch einen radikalen Wandel durch die Begegnung mit dem Schweizer Philosophen Harald Schenker (alias Harold Joos), der ihr Interesse am Konstruktivismus weckte, von dessen intellektueller Überlegenheit gegenüber anderen Kunstrichtungen er überzeugt war. Die beiden sollte fortan nicht nur eine Lebensgemeinschaft, sondern vor allem eine intensive geistige Beziehung verbinden, die das Schaffen von Hildegard Joos nachhaltig beeinflusste. 1959 ließen sich Hildegard und Harold Joos in Paris nieder, wo sie ein gemeinsames Atelier einrichteten und mit gleichgesinnten Künstler/innen regen Austausch pflegten. Nach einer kurzen informellen Phase begann sich Hildegard Joos gegen Mitte der 1960er-Jahre mit Bildkompositionen aus schiefwinkeligen und ellipsoiden Formen auseinanderzusetzen. Ersten Niederschlag fand dies in einem umfangreichen Werkzyklus mit dem Titel „Geometrische Reihe“, den sie 1964 in der Kellergalerie der Wiener Secession präsentierte. Für diese von nuancierten Weißund Grautönen bestimmte Malerei prägte die Künstlerin den Begriff der „monistischen Malerei“: „Sie ist in dem Sinne monistisch, daß sie jedesmal von einem einzigen Ding, von einem einzigen Formen-Typus spricht. […] Hier aber wiederholt die Malerin die Form 3 oder 4 Mal; das erste Element, das als Blickfang dient, ist sehr groß im Verhältnis zum Rahmen; die Größenordnung der Elemente ist dann durch so etwas wie arithmetische Progression gebrochen (wie 9–3–1 z.B.). Eine besondere Art der Dichte, zwingende A-Rithmie. Das Ding muß ‚eins‘ bleiben. So wird die Farbe ‚eins‘ sein, […] Ton in Ton.“ (Harald Schenker in: „Manifest der monistischen Kunst“, 1964) Um dem monochromen Farbauftrag Struktur zu verleihen, verwendete die Künstlerin aufgerauten Filz oder Jute als Hildegard Joos.

Ausstellungsansicht Landesmuseum Niederösterreich,
Foto: Daniel Hinterramskogler
Zu Beginn der 1970er-Jahre schließlich schuf Hildegard Joos eine Vielzahl von Werkzyklen, die das Thema Symmetrie behandeln. Hervorzuheben ist die Serie der „Balancen“ beziehungsweise „Verschiebungen“, in denen die Bildfläche optisch in zwei Hälften geteilt ist, wobei sich die Farbkomposition der geometrischen Formen der einen Hälfte in der anderen jeweils spiegelbildlich wiederholt. Um in Österreich eine ähnliche Plattform für konstruktivistische beziehungsweise konkrete Kunst zu schaffen, wie Hildegard Joos sie in Paris durch ihre Aufnahme in die Sektion „Art Cinétique, Art Concret, Art Constructif “ des Salon des Réalités Nouvelles kennengelernt hatte, regte sie 1975 mit dem Kunsthistoriker Dieter Bogner die Gründung der Gruppe Exakte Tendenzen an. Neben Hildegard und Harold Joos gehörten Kurt Ingerl, Brigitta Malche, Oskar Putz und Sabine Weiger zum inneren Kreis der Gruppe, deren Ziel es war, der konkret-konstruktiven Kunst mittels Ausstellungen und Symposien zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Ab 1982 intensivierte sich die Zusammenarbeit von Hildegard und Harold Joos. Sie traten nunmehr unter der Bezeichnung „H+H Joos“ in Erscheinung und versahen ihre Gemeinschaftswerke mit einem eigens gestalteten Signet. Charakteristisch für diese Zeit ist die Werkreihe der „Narrativen Geometrismen“, in der die nach mathematischen Prinzipien gestalteten Formen ohne ein erkennbares durchgängiges Schema über die Bildfläche verteilt sind. Die Motive wiederholen sich zwar von Bild zu Bild, vermitteln aber aufgrund der unzähligen Variations- und Kombinationsmöglichkeiten immer wieder eine neue Botschaft. Ab Anfang der 1990er-Jahre entstanden die Serien der „Raumnarrative“ und der „Reduzierten  Geometrismen“, die auf das Vokabular früherer Werkphasen zurückgreifen, wobei sich die Anordnung der Bildelemente auf jeweils eine Ecke konzentriert und die restliche Bildfläche von einer einheitlichen Farbgebung beherrscht wird. Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen der Klarheit der Form einerseits und dem durch mehrere Farbschichten erzeugten vibrierenden Effekt der Bildoberfläche andererseits.
In ihrem Spätwerk emanzipierte sich Hildegard Joos wieder zusehends von ihrem Partner, indem sie sich von der formalen Strenge löste und mitunter auch zur malerischen Gestik ihrer künstlerischen Anfänge zurückkehrte. Raster- und Schachbrettmuster blieben allerdings weiterhin eine Konstante in ihrem Schaffen. Trotz einer schweren altersbedingten Sehbehinderung arbeitete sie bis zuletzt täglich an ihren Werken und starb im Alter von 95 Jahren im Wiener Atelier. Mit ihrem vielseitigen Oeuvre, das die schier unbegrenzten Möglichkeiten geometrisch-abstrakter Formgebung eindrucksvoll belegt, leistete Hildegard Joos einen wichtigen Beitrag zu einer breiteren Anerkennung der konkret-konstruktiven Malerei in Österreich. Die Bedeutung ihres Werkes wurde zuletzt 1997 durch Retrospektiven in der Wiener Albertina und der Österreichischen Galerie Belvedere dokumentiert.


Text: Alexandra Schantl, aus dem Ausstellungsbegleiter der Ausstellung "Ausnahmefrauen - Christa Hauer, Hildegard Joos, Susanne Wenger" (30.11. 2013 – 12.10. 2014) im Landesmuseum Niederösterreich

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