Mehlschwalbe – Vogel des Jahres 2022

Mehlschwalbe, © Samuel Schnierer

Eine Frühlingsbotin in Bedrängnis

Meine erste „ornithologische“ Erfahrung war die Unterscheidung von Mehlschwalbe (Delichon urbicum) und Rauchschwalbe (Hirundo rustica) auf dem Bauernhof meiner Großeltern im niederösterreichischen Marchfeld, wo ich die Schulferien verbrachte. Schon als Kind wusste ich: Die Rauchschwalbe hat lange Schwanzspieße, ein dunkelrotes Gesicht, eine schwarze Kehle und längere, spitzere Flügel als die Mehlschwalbe. Mir fielen auch die weißen fensterartigen Zeichnungen der Schwanzfedern auf, wenn diese im Flug gespreizt werden.

Rauchschwalbe
Rauchschwalbe, © Katharina Wachter

Die Mehlschwalbe hat dagegen eine bis auf den Schwanz durchgehend reinweiße Unterseite. Sie sieht aus, wie „in Mehl getaucht“, daher der Name. Der Schwanz ist deutlich weniger tief gegabelt und die Schwanzspitzen kürzer. Typisch ist auch der weiße Bürzelbereich, der sich von der schwarzen Oberseite der Mehlschwalbe im Flug absetzt. Ich konnte aber auch bereits die Stimmen der beiden häufigsten heimischen Schwalbenarten unterscheiden. Der klare, munter „schwätzende“ Gesang der Rauschschwalben klingt ganz anders als die raueren, „gedämpften“ Rufe der Mehlschwalbe.

Besonders auffällig waren für mich die unterschiedlichen Nester sowie Neststandorte der beiden Arten. Die Rauchschwalben brüteten in napfförmigen, oben offenen Nestern in der überdachten Hofeinfahrt oder in einem alten Stallgebäude. Die Mehlschwalben bauten bis auf ein Einflugloch geschlossene Nester auf Außenwänden von Gebäuden, und dies immer zu mehreren.

Ich war damals – in den 1980er Jahren – jedes Jahr begeistert von den spektakulären Massenansammlungen von Schwalben im Spätsommer nach der Brutzeit, als sie sich vor dem Abflug ins afrikanische Wintergebiet vor allem auf Stromleitungen „sammelten“. Und jedes Frühjahr freute ich mich über die ersten Schwalben als Frühlingsboten, auch wenn „eine Schwalbe noch keinen Sommer macht“, wie ein bekanntes Sprichwort lautet. Ein anderer volkstümlicher Spruch über die Mehlschwalbe als Zugvogel beschreibt das Zugverhalten: „Zu Maria Geburt fliegen die Schwalben furt – zu Maria Verkündigung kommen sie wiederum“. Mehlschwalben kann man bei uns großteils von April bis September beobachten.

Heute sind leider auch diese „Allerweltsvögel“ seltener geworden. Neben den genannten Arten kommen in Österreich noch die Uferschwalbe und die Felsenschwalbe vor, die aber weniger häufig und weniger an den Menschen gebunden sind.

Im Folgenden beschränke ich mich auf die Mehlschwalbe, die von Birdlife Österreich zum Vogel des Jahres 2022 gewählt wurde.
Sie ist besonders von der Verschlechterung der Lebensbedingungen betroffen. Dies bezieht sich sowohl auf die Nahrungsverfügbarkeit als auch auf die Niststandorte. Heute geht man in Österreich von einem Bestand von etwa 17.500 Brutpaaren aus. Dies entspricht allerdings einer Halbierung des Bestandes in den letzten 20 Jahren! Die Mehlschwalbe wurde daher auf die Vorwarnliste der Roten Liste der bedrohten Arten gesetzt und ist bei uns streng geschützt.

Große Mengen an kleinsten Insekten

Mehlschwalben ernähren sich von „Luftplankton“, also von kleinen Insekten, die sie im Flug in großen Mengen erbeuten. Die gegenwärtige Krise der Biodiversität äußert sich insbesondere in einem massiven Verlust der Insektenvielfalt, sowohl was die Artenzahlen als auch die Individuenzahlen betrifft. Gerade in der heimischen ländlichen Kulturlandschaft, die oft von Monokulturen und regelrechten Agrarwüsten gekennzeichnet ist, ist diese Abnahme der Vielfalt dramatisch. Es fehlen strukturreiche Lebensräume mit einer hohen Dichte und Vielfalt heimischer blühender Pflanzen, die wiederum die Existenzgrundlage der Insekten darstellen. Pestizide geben ihnen den Rest. Und mit den Insekten gehen auch insektenfressende Wirbeltiere – allen voran Vögel – verloren. Es sind also ganze Nahrungsnetze betroffen.

Mehlschwalbe
Mehlschwalbe, © Samuel Schnierer

Lehm und Wasser

Mehlschwalben bauen ihre Nester selbst, und zwar beide Elternteile. Dazu benötigen sie feuchten Lehm, den sie mit Speichel vermischt zu kleinen Kügelchen formen. Bis zu 1.500 solcher Bauteile bringen sie einzeln zu ihrem Neststandort – oft die Außenfassade oder Mauer von Gebäuden, unter einem Vorsprung als Schutz – und kleben sie an die Wand, bis das halbkugelförmige Nest mit seitlichem Eingang fertig ist.

Bei diesem Unterfangen stoßen die ursprünglichen Felsbrüter heutzutage auf zwei Probleme: Einerseits fehlen durch die Bodenversiegelung, aber auch die zunehmende Trockenheit, vielerorts Pfützen und andere Stellen mit feuchter Erde. Andererseits sind viele neu gebaute oder renovierte Gebäude weniger für die Anbringung von Schwalbennestern geeignet. Die Mauern sind zu glatt, es fehlen Nischen und Vorsprünge. Oft entfernen menschliche Hausbewohner*innen die Nester, um den bei brütenden Vögeln unvermeidlichen Schmutz zu vermeiden. Durch den Schutzstatus der Mehlschwalbe ist dies allerdings mittlerweile sogar verboten. Auch verlassene Nester sollen nicht entfernt werden, da sie oft in kommenden Jahren wiederverwendet werden.

Wie kann man Mehlschwalben helfen?

Es ist gar nicht so schwierig, zum Schutz dieser früher auch als Glücksbringer gern gesehenen Singvögel beizutragen.

Zuallererst braucht es auch hier die richtige Einstellung und ein Bewusstsein für die Problematik. Es gibt immer wieder Citizen-Science- Projekte, denen man Sichtungen und Beobachtungen von Schwalben melden kann.

Ganz praktisch können (angehende) Hausbesitzer*innen beitragen, indem sie den Schwalben die Möglichkeit, zu brüten, nicht nehmen. Also bitte keine Nester entfernen und gegebenenfalls Bretter unter den Nestern anbringen, um eine Verschmutzung durch Kot abzufangen. Man kann aber auch aktiv nachhelfen, indem man Holzbretter als Unterlage für selbst gebaute Schwalbennester montiert oder Bruthilfen aus Holzbeton in Form von Mehlschwalbennestern kauft (z.B. unter https://www.vivara.at/) und unter dem Dachvorsprung anbringt.  Es sollten mehrere sein, da Mehlschwalben Koloniebrüter sind. Wie man Nester selbst bauen kann – etwa aus einer Sägemehl-Gips-Mischung – erfährt man hier.

Als Quelle für die Bausubstanz der Nester kann man Lehmpfützen anlegen, indem man einfach lehmige Stellen feucht hält oder Lehm mit Wasser anrührt und an einer geeigneten Stelle anbietet.

Das Nahrungsangebot zu erhalten ist schon eine umfassendere Aufgabe. Je mehr natürliche Vegetation, je mehr Hecken, Brachen, Naturgärten und Ähnliches, desto mehr Insektenvielfalt wird sich einstellen. Hier kann zwar auch jeder in seinem eigenen Garten beginnen, aber ein viel größeres Umdenken hin zu ökologischeren Formen der Landwirtschaft ist nötig.

Zusammenfassend kann man sagen: Auch die Mehlschwalbe ist ein Beispiel dafür, dass man Natur- und Umweltschutz nur ganzheitlich betrachten kann. Alles hängt zusammen: Ohne Pflanzen keine Insekten, ohne Insekten keine Schwalben. Auch ist diese Art ein gutes Beispiel dafür, dass heute die Tierwelt im Siedlungsbereich besondere Aufmerksamkeit verdient, da Städte und Dörfer wichtige sekundäre Lebensräume und Refugien für Wildtiere sind.
Persönlich kann ich nur hoffen, dass auch in Zukunft „meine“ Schwalben (nicht nur) im Marchfeld zum sommerlichen Alltag gehören werden.

Autor: Mag. Michael Schroll


Weiterführende Links und Literatur:

https://naturschutzbund.at/newsreader/items/die-mehlschwalbe-vogel-des-jahres-2022.html
https://www.lbv.de/ratgeber/lebensraum-haus/voegel-am-haus/schwalben/kuenstliche-nisthilfen/
https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/portraets/mehlschwalbe/
https://vet-magazin.at/tierarzt-magazin/aktuelle-meldungen/Mehlschwalbe-Vogel-des-Jahres-2022.html
https://www.austrianbiologist.at/bioskop/2014/04/die-schwalbe-von-der-glucksbotin-zum-sorgenkind/
Svensson, L., Mullarney, K., & Zetterström, D. 2011. Der Kosmos Vogelführer. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG. Stuttgart
Khil, L., 2018. Vögel Österreichs. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG. Stuttgart

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