Hainburg 1984

© AG Hainburg, Nationalpark Donau-Auen

Mythen und Fakten zur Aubesetzung

Menschen unterschiedlichen Alters in Winterkleidung auf einer Auwiese, ringsherum vereinzelte Transparente. Die Szene wirkt entspannt. Dieser Eindruck sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Fotografie gegen Ende des Clusters 10 (Dauerpräsentation Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich) eines der Schlüsselereignisse der Geschichte der Zweiten Republik wiedergibt. Der so genannte Sternmarsch am 8. Dezember 1984 stellte sowohl einen Kulminations-, wie auch Wendepunkt der bereits drei Jahre andauernden Auseinandersetzung um den Bau eines Donaukraftwerks bei Hainburg dar. Dieser Samstag leitete zu einer neuen Dimension des Konfliktes über, zur direkten Konfrontation zwischen Naturschützerinnen und Naturschützer und Staatsgewalt.

Projekt DoKW Hainburg, Trockenbauweise, Aktionsgemeinschaft Hainburg

Heute würden wir die Aktivitäten gegen den im Jahr 1984 geplanten Bau eines Donaukraftwerkes bei Hainburg wohl als eine bis dahin beispiellose Aktion der Zivilgesellschaft bezeichnen. Ein Begriff, der damals unbekannt war und daher auch keine Verwendung fand. Abgesehen von Teilaspekten wurde eine umfassende historische oder politikwissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte, wie auch der Vorgeschichte der Aubesetzung bislang nicht vorgenommen. Dieser Umstand hat wesentlich dazu beigetragen, dass viele Einzelereignisse in ihrem Ablauf unklar geblieben sind und sich darüber hinaus zahlreiche Mythen bilden konnten. Ein Satz, der alle gängigen Klischees über die Aubesetzung widerspiegelt, würde kurz und bündig so lauten:

In einer bis dahin nie gekannten Aktion besetzten tausende Demonstranten, vor allem Studenten, im eiskalten Winter von 1984 die Hainburger Au, ketteten sich an die Bäume, wodurch das Kraftwerksprojekt letztendlich verhindert und die Geburtsstunde der Grünen Partei eingeläutet wurde.

Sternmarsch auf die Brücklwiese Stopfenreuth Höhepunkt der VeranstaltungTatsache ist jedoch, dass nicht nur Studentinnen und Studenten in die Au gegangen sind. Die Besetzerinnen und Besetzer repräsentierten einen bunten Querschnitt der österreichischen Bevölkerung, Menschen aller Altersstufen, Berufe und (partei)politischer Gesinnung, Prominente und Nicht-Prominente. Keiner von ihnen hat sich übrigens an einen Baum gekettet - Erfahrungen früherer Besetzungsaktionen, wie im Auwald am Alberner Hafen ein Jahr zuvor hatten gezeigt, dass diese Strategie die falsche gewesen ist. In der Stopfenreuther Au hätte es 1,2 Millionen Menschen gebraucht, um alle, von der Schlägerung bedrohten Bäume durch Anketten zu schützen. Darüber hinaus war diese Form des Widerstandes in Österreich bis dahin nicht einzigartig gewesen. Bereits im Sommer 1984 hatten hunderte Aktivistinnen und Aktivisten durch eine wochenlange Besetzung eines engen Flusstales die Errichtung eines Wasserkraftwerks im oberösterreichischen Hintergebirge verhindert und damit den Grundstein für den Nationalpark Kalkalpen gelegt. Und damit vom Sommer zum Winter, der eigentlich ein Herbst gewesen ist: alle entscheidenden Aktivitäten und Aktionen der Aubesetzung erfolgten noch vor dem 21. Dezember und damit im Herbst des Jahres 1984. Da aber die zweite Besetzungswoche mit großen Mengen an Schnee und Eis und Temperaturen von bis zu minus 25 Grad aufwarten konnte, haben sich die Ereignisse als Wintererinnerung in unserem Gedächtnis verankert. Ob die Besetzung alleine ausgereicht hätte, um den Bau des Kraftwerkes zu verhindern, ist zu bezweifeln. Der Erfolg beruhte sicher auf zahlreichen parallel verlaufenden Aktionen. Eine davon war die Klage dreier Landwirte gegen den Wasserrechtsbescheid, eingebracht am Verwaltungsgerichtshof. Eine andere die Demonstration von 40.000 Menschen am 19. Dezember in Wien, die übrigens nicht, wie vielfach zitiert auf dem Heldenplatz, sondern vor der Oper stattgefunden hat. Und was zu guter Letzt die Grünen betrifft, ist Hainburg sicher nicht die Geburtsstunde der Grünen Partei gewesen. Einerseits gab es sie bereits als VGÖ und Alternative Liste lange vor der Aubesetzung (und sie steuerten auch Aktionen bei), andererseits zog die Grüne Alternative erst 1986 in den Nationalrat ein. Dass Zwentendorf und Hainburg wichtige Meilensteine im Rahmen der Grünen Bewegung waren ist unbestritten, während der Au-Besetzung hat man sie als solche allerdings nicht wahrgenommen.

Nachdem der ursprünglich vorgesehene Kraftwerksstandort am rechten Donauufer bei Petronell aufgrund des hohen Gefährdungsgrades der Heilquellen verworfen worden war, konkretisierte die Donaukraftwerke AG den Ersatzstandort in der linksufrigen Au, östlich der kleinen Gemeinde Stopfenreuth. Bereits 1981 hatte sich in Hainburg eine Bürgerinitiative gegen diese Pläne formiert, ein Jahr später folgten regionale Initiativen im Marchfeld, wie auch lokale Gruppen in Orth an der Donau und Fischamend. Mit der Gründung der Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg, 1983, im Kurhaus von Bad Deutsch Altenburg, war allen Bürgerinitiativen und über 40 NGOs die Möglichkeit der koordinierten Zusammenarbeit gegeben worden.

Die Vorgeschichte der Aubesetzung bietet hunderte, oft unkonventionelle und bunte Aktionen, die nicht nur im betroffenen Gebiet selbst abliefen, sondern vor allem auf die Entscheidungsgremien des Bundes und des Landes, vorwiegend in Wien, abzielten. Eröffnet wurde dieser Reigen mit dem Hainburger Donaufest am 25.9.1983, in dessen Rahmen die Ruderteams von Oxford und Cambridge auf der Donau gegeneinander antraten. Am Höhepunkt eines Hearings der Niederösterreichischen Landesregierung am 2.12.1983 trugen Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerinitiativen waschkörbeweise 120.000 Unterschriften gegen das Bauvorhaben in den Festsaal des Landhauses in der Herrengasse. Anfang Mai 1984 verdichteten sich die Ereignisse, als Prinz Philipp, der Präsident des WWF die Stopfenreuther Au besuchte und nur drei Tage später, am 6.5.1984 rund 400 als Hexen, Waldgeister, Tiere und Pflanzen verkleidete Aktivistinnen und Aktivisten in bunten Kostümen die Rampe des Parlaments in Wien belagerten und eine ausgelassene "Hainburgis-Nacht" feierten. Nur einen Tag später gaben prominente Künstler, Politiker und Wissenschaftler in Tierkostümen am Höhepunkt der Pressekonferenz der Tiere die Einleitung eines Volksbegehrens zur Sicherung der natürlichen Ressourcen bekannt.

Nachdem sich auf Grundlage der vorliegenden Fachgutachten die Bezirkshauptmänner von Gänserndorf, Bruck/Leitha und Wien-Umgebung gegen das Kraftwerksprojekt ausgesprochen hatten, untersagte die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf am 20.6.1984 der Donaukraftwerke AG per Bescheid die Ausführung des Projektes. Im Laufe der zweiten Verfahrensinstanz übertrug der Landtag dem niederösterreichischen Landesrat für Naturschutz die Entscheidungsgewalt. Mit Erteilung des positiven naturschutzrechtlichen Bescheides am 26.11.1984 überstürzten sich die Ereignisse. Am Morgen des 27. November besetzten 700 bis 800 Studentinnen und Studenten das Niederösterreichische Landhaus in der Herrengasse, eine Pressekonferenz jagte die nächste. Mit der wasserrechtlichen Genehmigung des Kraftwerksprojektes durch den Landwirtschaftsminister am 5.12.1984 wurde klar, dass keine weitere Demonstration, sondern allein eine Besetzungsaktion in der Au die Bautrupps aufhalten konnte.

Polizeieinsatz 19 12 84 KronenzeitungOffiziell erstreckte sich die Besetzung der Au zeitlich vom 8.12.1984 bis zu Beginn der zweiten Jännerwoche 1985. Der massive Einsatz von Polizei und Gendarmerie am 19.12.1984 brachte eine Wende, nicht zuletzt aufgrund intensiver Bildberichterstattung aller österreichischen und zahlreicher ausländischer Medien. Unter dem Druck der Öffentlichkeit erklärte Bundeskanzler Sinowatz den "Weihnachtsfrieden", eine zeitlich nicht klar definierte Nachdenkpause. Den entscheidenden Ausschlag brachte jedoch die Beschwerde dreier Landwirte aus Stopfenreuth beim Verwaltungsgerichtshof, der dieser am 2.1.1985 tatsächlich aufgrund von Formalfehlern im Wasserrechtsbescheid aufschiebende Wirkung zuerkannte. Das bedeutete den Anfang vom Ende des Projektes, dessen wasserrechtliche und naturschutzrechtliche Bewilligungen bis 1986 aufgehoben wurden. Zwölf Jahre dauerte diese Nachdenkpause, die von einer Ökologiekommission und zwei Nationalparkplanungen entsprechend genutzt wurde: am 27.10.1996 wurde der Nationalpark Donau-Auen feierlich eröffnet.

BesetzerInnen blockieren die Forststraße

Wer die Geschichte der Aubesetzung im Detail studieren möchte - unterstützt durch hunderte Originaldokumente, Fotos und Publikationen - sollte die Infothek auf der Homepage des Nationalparks Donau-Auen nutzen. Dort kann auch der Film Widerstand am Strom von Roberto Epple (1985), der nicht nur die Ereignisse der Aubestezung, sondern auch die Vorgeschichte dokumentiert, in voller Länge gesehen werden (https://infothek.donauauen.at/infothek/folder/geschichte-des-nationalpark-donau-auen.html)

Text: Manfred Rosenberger, MSc, Aktivist der ersten Stunde
Abbildungen: AG Hainburg, Nationalpark Donau Auen

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