In die Welt des Borkenkäfers geblickt

Titelbild: © Manfred Rosenberger

Im Augenblick

Die Straßen Niederösterreichs sind um eine Facette reicher und damit gefährlicher geworden. Voll beladene Holztransporter rollen über die Landstraßen, ignorieren Geschwindigkeitsbeschränkungen und legen sich gewagt in Kurven. Da wird offensichtlich auf Zeit gefahren. Aufgrund eines Übereinkommens zwischen der Landwirtschaftskammer, dem Land Niederösterreich, Waldbesitzern, Frächtern und Sägewerken ist es Holztransportern bis Ende November 2020 gestattet das bislang geltende Gesamtgewicht von 44 Tonnen auf 50 Tonnen zu erhöhen. Das Ziel ist, so viel Schadholz wie nur möglich aus privaten und staatlichen Forsten zu schaffen, um mögliche Vermehrungscluster für Borkenkäfer zu reduzieren.

Im Überblick

Borkenkäfer-Wald
Borkenkäferbefall_Fichtenbestand_ÖBf-Archiv_J. Markovsky
Wie dramatisch sich die Situation rings um die explodierenden Borkenkäferbestände entwickelt hat zeigen aktuelle Zahlen. Zwar wurde 2018 in Niederösterreich ein Viertel mehr Holz geerntet als im Jahr davor, jedoch mussten von 5,3 Millionen Erntefestmetern 3,1 Millionen als Schadholz und davon wiederum knapp über 2 Millionen als Borkenkäfer-Schadholz klassifiziert werden. Das bedeutete einen Anstieg des Schadholzanteiles um 72 Prozent innerhalb eines Jahres. Selbst in der Fachwelt war man von diesem Katastrophenszenario überrascht. Dass der Schadholzanteil in Niederösterreich mit 59% deutlich höher lag als jener des gesamtösterreichischen Wertes von 52 Prozent ist wohl dadurch zu begründen, dass Niederösterreich den weitaus höchsten Fichtenbestand in mittlerweile ungünstigen Lagen aufzuweisen hat. Obwohl der Borkenkäfer als Verursacher dieser Misere gilt, mehren sich kritische Stimmen selbst unter den Waldbesitzern, die das Insekt bloß als Symptom und nicht als den eigentlichen Grund für das Absterben riesiger Waldflächen erkennen.   

Im Einblick

Fraßgang
Borkenkäfergänge_ÖBf-Archiv

Es ist schon erstaunlich, dass es angesichts von 6000 Arten weltweit und mehr als 150 Arten in Europa nur zwei Vertreter sind, die der Fichte massiv zusetzen. Sowohl der Buchdrucker (Ips typographus), als auch der Kupferstecher (Pityogenes chalcographus) leiten ihre Namen von den Fraßgängen ihrer Larven ab, die wie Buchzeilen angeordnet sind. Während der Buchdrucker den unteren Stammbereich von älteren Fichten befällt, bevorzugt der Kupferstecher jene Teile des Baumes mit dünner Borke. Unter normalen Umständen sind es geschwächte Fichten, die einen charakteristischen Geruch verströmen, der einige Männchen als Pioniere anlockt. Obwohl der Baum sich durch verstärkte Produktion von Harz zur Wehr setzt, dringen diese in die Rinde ein. Von hier aus setzen sie ihrerseits spezielle Lockstoffe, die Aggregationspheromone frei. Nach der Paarung formen die begatteten Weibchen einen geraden Muttergang aus, an dessen beiden Seiten sie abwechselnd Eier in kleine Ausbuchtungen legen. Von diesen weg treiben die geschlüpften Larven seitlich abgehende Larvengänge vor, an deren Ende sie in einem leicht erweiterten Bereich, der Puppenwiege, in das Puppenstadium übergehen. Die frisch geschlüpften Buchdrucker sind zunächst hell und weich, härten aber im Laufe der folgenden Wochen, in denen sie einen Reifungsfraß vornehmen, schnell aus und nehmen dunkelbraune Färbung an. Je nach Entwicklungsfortschritt und Umgebungsverhältnissen in der „Außenwelt“ fliegen sie aus oder verbleiben zur Überwinterung unter der Rinde. Die quer zu den Phloemgefässen liegenden Larvengänge kappen den Saftstrom zwischen Krone und Wurzeln. Außerdem gelangt mit den Käfern ein Bläuepilz in die Leitgefässe der Fichte, wodurch der Wassertransport von den Wurzeln in die Krone zum Erliegen kommt. Ein äußeres Anzeichen dieses Vorgangs ist die allmähliche Rotfärbung der Krone.        

Im Durchblick

Borkenkäferlarven
Borkenkäferlarven_ÖBf-Archiv
Angesichts täglicher Horrorberichte über „Borkenkäferkalamitäten“ entsteht der Eindruck Buchdrucker und Co. könnten ohne Einschränkung walten, wie sie wollten. Tatsächlich aber gibt es zahlreiche biotische und abiotische Faktoren, die Käferpopulationen entscheidend begrenzen können. Zu den bekanntesten Fressfeinden zählen wohl die Spechte, die als einzige Vögel Käfer und Larven erreichen, die unter der Rinde verborgen sind. Da Borkenkäfer auch im Winter freigelegt werden können machen sie bei einigen Spechtarten sogar bis zu 99 Prozent der Nahrung aus. Ein wahrer Spezialist dieser Kost in den heimischen Fichtenwäldern ist der Dreizehenspecht, der losgelöste Rindenstücke so achtsam dreht und wendet, dass kaum eine Larve herabfällt. Effektiver sind jedoch die Insekten selbst. So weisen die Familien der Buntkäfer, Jagdkäfer, Glanzkäfer und Kurzflügler Arten auf, die im Laufe der Evolution spezielle Techniken entwickelten, um Borkenkäfer aufzuspüren. Während der Ameisenbuntkäfer (Thanasimus formicarius) Borkenkäfer im Anflug auf die Rinde überrascht, in zwei Teile beißt, um sich in das Körperinnere vor zu fressen, folgt Nemozoma elongatum der Spur des ausgeworfenen Sägemehls, um seiner Beute in die schmalen Kriechgänge zu folgen. Der Kurzflügler Nudobius lentus hingegen nimmt die Witterung von Pheromonen von Fichtenborkenkäfern auf und erbeutet sie dadurch gezielt. Neben dutzenden Fliegen- und Milbenarten haben sich vor allem parasitische Wespen auf bestimmte Borkenkäferarten spezialisiert. Tomicobia seitneri etwa befällt ausschließlich den Buchdrucker – sie überrascht den Käfer im Moment des Ein- oder Ausbohrens an der Rinde und injizieren ihm eigene Eier. Der Käfer wird von innen her aufgefressen. Borkenkäfer werden aber auch von Viren, Einzellern, Fadenwürmern und insbesondere Pilzen befallen.
Eine natürliche Bekämpfung funktioniert aber nur in weitgehend intakten Ökosystemen. Auf die großen Fichtenbestände des nordöstlichen Waldviertels sind sie kaum anzuwenden, liegen hier doch nahezu reine Monokulturen vor, die bereits vor Jahrhunderten die ursprünglichen Mischwaldgesellschaften mit hohem Laubholzanteil ersetzt haben. Zudem finden wir in Monokulturen nur selten Rand- und Übergangszonen mit widerstandsfähigen Baumarten und Hecken, die die Kernbereiche des Waldes vor Sturmschäden schützen. Nicht zuletzt durch die Temperaturerhöhung der letzten Jahre und zunehmende Trockenheit der Böden wurden beste Voraussetzungen geschaffen, um Massenvermehrungen von Borkenkäfern, die auch gesunde Bäume betreffen, entscheidend zu begünstigen. Dass der Borkenkäfer seine wichtigste Lebensgrundlage zerstört ist ein klarer Hinweis darauf, dass ein komplexes System aus den Fugen geraten und der Kern des Problems Fichtensterben nicht bei ihm zu suchen ist.

Borkenkäferloch
Borkenkäferloch_ÖBf-Archiv_W. Simlinger

 

Im Ausblick …

Zielführende Vorschläge, die vor wenigen Jahren noch als „grüne Ideen ökologischer Spinner“ abgetan wurden, kommen mittlerweile von Waldbesitzern selbst. Zunehmend wird erkannt, dass nicht das Massenauftreten von Borkenkäfern den Wald vernichtet, sondern die Schwächung der Fichtenforste das Massenauftreten von Schadinsekten begünstigt. Nur große Schutzgebiete, wie der Nationalpark Bayerischer Wald können es sich erlauben, den Wald einfach sich selbst zu überlassen und durch das völlige Absterben alter Baumbestände auch die Borkenkäferpopulationen auszulöschen. Wirtschaftswälder brauchen andere Strategien. Die Einbringung standortfremder Ersatzarten, wie der Douglasie ist sicher die falsche Strategie. Abgesehen davon, dass die Ursachen zunehmender Erhöhung der durchschnittlichen Jahrestemperaturen bekämpft werden müssen, sollte ein Ziel die Wiederherstellung naturnaher Mischwaldgesellschaften sein, die den gegebenen Boden- und Klimaverhältnissen entsprechen. Längst überfällig ist die Entwicklung einer neuen Schutzgebietskategorie , die man als Funktionsschutzgebiete ausweisen könnte. Ein bei entsprechender staatlicher Förderung geschaffenes weit gespanntes Netzwerk renaturierter Waldflächen wäre nicht nur in der Lage als Grundgerüst zukünftiger, widerstandsfähiger und artenreicher Wirtschaftswälder zu dienen, sondern darüber hinaus Korridore für den notwendigen genetischen Austausch zu schaffen. Eine win-win-Situation für alle Beteiligten. Und vielleicht wird es dem Borkenkäfer in Zukunft wieder möglich sein, auch im Wirtschaftswald seinen ursprünglichen, wichtigen Funktionen nachzukommen.

Autor: Manfred Rosenberger, MSc, MAS, BA, BA   

Literatur:
Beat Wermelinger, Insekten im Wald. Vielfalt, Funktionen und Bedeutung. – Bern, 2017
Wolfgang Rohe, Die Brutbilder der wichtigsten Forstinsekten. Feldbestimmungsschlüssel für Deutschland, Österreich und die Schweiz. – Wiebelsheim, 2020
Holzeinschlagsmeldung über das Kalenderjahr 2019. Hg. Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, Wien, 2020

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