Gassen mit Geschichte – Rund um die Altstadt von Retz

Blick auf Retz, links das Dominikanerkloster, etwa in der Mitte der Turm des Rathauses (Foto: © Elisabeth Vavra)

Vor einigen Jahren schlossen sich in Niederösterreich elf Städte zu dem Verbund Stadtmauerstädte Niederösterreich zusammen. Zu ihnen gehören im Waldviertel Drosendorf, Horn, Eggenburg, Waidhofen, Weitra und Zwettl, im Weinviertel Laa an der Thaya und Retz, im Marchfeld Groß-Enzersdorf und Marchegg sowie Hainburg an der Donau. Der Besuch jeder Stadt lohnt sich, haben sie doch alle ein reizvolles, geschichtsträchtiges Ambiente zu bieten – und auch das kulinarische Angebot ist nicht zu verachten.

Ich entführe Sie heute in die Weinstadt Retz. Die Windmühle am Kalvarienberg, der weitläufige Hauptplatz mit seinen beeindruckenden Gebäuden, die vom Reichtum der Bürger*innen erzählen, und die weitläufige Kelleranlage – eine Stadt unter der Stadt – sind wohl den meisten Besucher*innen bekannt. Groß dimensionierte Hauptplätze wie etwa der in Retz sind zumeist Charakteristika für sogenannte Gründungsstädte, also von planmäßig angelegten Orten. Südlich des 1180 erstmals urkundlich genannten Dorfes Recze, das rund um die Pfarrkirche St. Stephan lag, entstand um 1280/90 die neue Siedlung rund um den beeindruckenden Rechteckplatz (ca. 180 m x 70m). Gründer der Neustadt war Graf Berthold von Rabenswalde-Schwarzegg, der die Witwe des letzten Hardeggers Otto von Hardegg geheiratet hatte. Solche Heiraten erwiesen sich immer als kluge Schachzüge: König Rudolf I. belehnte den Witwentröster mit der reichsunmittelbaren Grafschaft Hardegg. Bertholds Wappentier – der aufsteigende Löwe – wurde das Wappen von Retz, das 1305 erstmals als Stadt bezeichnet wurde. Aus dieser Gründungszeit stammt auch die Anlage der Stadtbefestigung.

Das Ensemble des Hauptplatzes

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Blick über den weitläufigen Hauptplatz, der vom Komplex des Rathauses dominiert wird (Foto: © Elisabeth Vavra)

Unser Rundgang nimmt am Hauptplatz seinen Ausgang, der sein heutiges Aussehen im 16. Jahrhundert erhielt. Der freistehende Gebäudekomplex des Rathauses entstand 1568/69 durch den Um- und Ausbau der 1367 errichteten Marienkapelle. Im neuen Obergeschoß befand sich der Ratssaal, der bis heute in Verwendung ist. Der gotische Nord-Turm wurde 1571/72 aufgestockt und mit einem Arkadengang versehen. Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die Kapelle und der Ratssaal schließlich barockisiert. Bei der Freskenausstattung des Ratssaals arbeitete an der Seite Gottlieb Starmayrs ein Kamerad namens Martin Johann Schmidt, besser bekannt als „Kremser Schmidt“. Während der für Retz schlimmsten Pestepidemie 1680 wurde am Hauptplatz die Marien- bzw. Pestsäule errichtet, ca. 100 Jahre später die Dreifaltigkeitssäule. Der 1561 bezeichnete Pranger erinnert an die alte Gerichtsbarkeit und an die wichtige Marktfunktion der Stadt, denn an diesem Pfeiler wurde an den Markttagen das fendl ausgesteckt als Zeichen der Marktfreiheit. Was bedeutete dies? Die Bürger*innen von Retz hatten das Vorkaufsrecht auf die angebotenen Waren.

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Das sogenannte Verderber-Haus (Foto: © Elisabeth Vavra)

Wie ein Stadttor wirkt das mächtige Verderber-Haus, das die Nordfront des Platzes dominiert. Der Eindruck täuscht allerdings. Es handelt sich nur um eine Durchfahrt durch den aus drei spätgotischen Häusern entstandenen Gebäudekomplex. Leicht aus der Mitte versetzt befindet sich über dem Spitzbogen Name, Wappen und Leitspruch des Bauherrn: Hanns Fierenz von Goerz, 1583 – Alles mit der Zeit. Warum der mittlere Trakt als Gewelibhaus bezeichnet wurde (1437), erklärt ein Blick in die Durchfahrt: Hier befanden sich einstmals Handelsgewölbe, die die Stadtverwaltung als Eigentümerin des mittleren Hauses an Fragner (= Kleinhändler) vermietete. Den heutigen Namen erhielt das Haus nach einem Besitzer des 19. Jahrhunderts: 1821 gründete Thomas Verderber, der aus der Gottschee nach Retz kam, hier eine Handelsfirma. Seine wichtigsten Güter waren Tuch und Wein. 

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Das Sgraffitohaus am Hauptplatz (Foto: © Elisabeth Vavra)

Wir queren den Hauptplatz und wenden uns der südlichen Seite zu, um durch die Kremser Straße zum ersten erhaltenen Stadttor der Befestigungsanlage zu gelangen. Diese Ausfallstraße nach Süden ist nicht zu verfehlen, denn an der Ecke steht das markante Sgraffitohaus. Der Eisenhändler Augustinus Resch hatte hier 1546 von seinem Schwiegervater ein Bürgerhaus geerbt. 1576 ließ er das dreigeschossige Eckhaus errichten. Figuraler Sgraffitoschmuck dekoriert die Fassaden: Die Front zur Kremser Straße erzählt Geschichten aus dem Alten Testament, die zum Hauptplatz hin zitiert aus der griechischen Mythologie. Ergänzt wird das Programm durch Darstellungen der Lebensalter.

Die südliche Stadtbefestigung mit Nalbertor und Haberfelderturm

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Das Nalbertor (Foto: © Elisabeth Vavra)
Die Kremser Straße führt direkt auf das gotische Nalbertor (auch Kremsertor) zu, das leider im 19. Jahrhundert seiner oberen Stockwerke beraubt wurde. Benannt ist das Tor nach den Nalber, die Gefolgsleute der Grafen von Plain waren und im 12. Jahrhundert aus Salzburg in den Raum Retz-Hardegg kamen, der zum Herrschaftsbesitz der Grafen von Plain gehörte.

Vermutlich war das Nalbertor wie das Znaimertor fünf Geschoße hoch. Bauuntersuchungen haben sein hohes Alter belegt. Es entstand um 1290/1300. Nach schweren Schäden durch den Hussiteneinfall, der 1425 große Schäden in der Stadt anrichtete, wurde das Tor um 1460/90 wieder erneuert. Stadttore hatten immer auch repräsentative Funktion, dies zeigt sich auch hier in der qualitätvollen Steinmetzarbeit. In der Torhalle sind noch zwei gotische Sitznischen erhalten. Bereits im 16. Jahrhundert verlor das Nalbertor seine Funktion. Ein neuer Torbau wurde weiter östlich im Verlauf der Kremser Straße errichtet (1831 abgebrochen). Die links von der Kremser Straße abzweigende Roseggergasse führt uns nun entlang der südlichen Stadtbefestigung, die noch am besten erhalten ist.

Eine solche Befestigungsanlage bestand aus der Stadtmauer, der ein Zwinger vorgelagert war. Dieser wurde durch die Zwingermauer eingeschlossen. Das so entstandene offene Areal diente der Verteidigung: Hatte der Angreifer die Zwingermauer überwunden, war er eingekesselt und konnte von den auf der Stadtmauer postierten Verteidigern kontrolliert und unter Beschuss genommen werden. Die nächste Verteidigungslinie war ein möglichst tief ausgehobener Graben, der die Stadt umschloss. Der Stadtgraben wurde noch von einer Kontermauer und einem Erdwall als äußerste Schutzlinie umgeben. In Retz verwendete man das Aushubmaterial der großen Kelleranlagen unter der Stadt für das Aufschütten des Stadtwalles. Die Retzer Stadtmauer war an die 9 Meter hoch und wies eine Stärke von bis zu 1,7 Meter auf. Beim Spaziergang durch die Roseggergasse kommt man bei Teilen der Kontermauer und der Zwingermauer vorbei. Einstmals bekrönten Zinnenreihen die Mauern. Im Lauf des 15. Jahrhunderts wurden sie durch Schießscharten ersetzt, um so besser die aufkommenden Feuerwaffen einsetzen zu können. Im Bestand des Museums Retz sind noch solche spätgotischen Hakenbüchsen erhalten.

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Die südliche Stadtbefestigung (Foto: © Elisabeth Vavra)

An der Südwestecke der Stadtbefestigung steht der Haberfelderturm, der laut Untersuchung der erhaltenen Bauhölzer um 1450 in Bau war. Benannt ist er nach dem zu dieser Zeit amtierenden Bürgermeister und Stadtrichter Wenzl Haberfelder. Der runde Geschützturm verfügt über zwei Wehrgeschosse, die Platz für die Verteidiger boten. Diesen standen jeweils zwei Schießfenster zur Verfügung. Zu dem Hocheingang gelangte man von der Stadtmauer aus über eine Zugbrücke, die bei Gefahr hochgezogen werden konnte.

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Haberfelderturm (Foto: © Elisabeth Vavra)

Das Dominikanerkloster Mariae Himmelfahrt

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Dominikanerkloster (Foto: © Elisabeth Vavra)
Unsere nächste Station ist das Dominikanerkloster, dessen Klosterkirche mit seinem Langhaus in die Stadtbefestigung eingebunden ist. Die Bettelorden – dazu gehörten u. a.  Franziskaner, Minoriten, Dominikaner und Klarissen – errichteten ihre Klosteranlagen immer in städtischen Siedlungen, um so ihrer wichtigsten Aufgabe – der Predigttätigkeit – nachkommen zu können. Ihre Bauten zeichnen sich durch Schlichtheit und Einfachheit aus.  Die Ordensregel verbot den Bau eines Glockenturmes (campanile); man nutzte daher einen Dachreiter als Glockenstuhl. Die Grundstücke für den Klosterbau, die die Stifter oder die Gemeinden den Ordensgemeinschaften zur Verfügung stellten, lagen meist im Bereich der Stadtbefestigung. Die festen Mauern der Klostergebäude sollten dem Siedlungsgebiet zusätzlichen Schutz bieten.

Für die Retzer Dominikanerkirche nimmt man eine Entstehung im ausgehenden 13. Jahrhundert an. 1309 starb der erste Prior Heinrich von Neuberg. Die Kirche diente als Grablege für das Stifterehepaar Berthold von Rabenswalde-Schwarzegg und Wilbirgis von Hardegg, die im Tympanon des Portals dargestellt sind. Sie knien zu Füßen der Madonna, die auf dem Thron Salomons thront, und bringen der Gottesmutter die Kirche als Modell dar. Damit stellen sie ihre Stiftung und wohl auch ihre neu gegründete Stadt unter den Schutz Mariens. Die Innenausstattung ist ähnlich schlicht wie der Außenbau. Ein Besuch lohnt sich aber trotzdem. Sehenswert ist das 1749 vom Kremser Schmidt geschaffene Altarbild Gang des Heiligen Nepomuk zur Richtstätte. Am Placidus-Altar im Ostschluss des linken Seitenschiffes findet sich der Sarg mit den Gebeinen des hl. Placidus, der zum Patron der Stadt Retz wurde. Pater Raimund Ortz, der 1650 in das Retzer Kloster eingetreten war und Ende des 17. Jahrhunderts an der Ordenskurie in Rom arbeitete, brachte die Gebeine des römischen Heiligen nach Retz.

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Tympanon mit Thron Salomonis und Stifterehepaar (Foto: © Elisabeth Vavra)

Der Althof

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Der Althof von der Stadtbefestigung aus gesehen (Foto: © Elisabeth Vavra)
Wir folgen nun dem Klosterbrückenweg, der den Stadtgraben entlang Richtung Norden führt und kommen zur nächsten Station, dem Althof. Er liegt an der Kreuzung der beiden wichtigen mittelalterlichen Handelswege – dem Rittsteig, der von Krems kam und weiter nach Mähren führte, und dem Thayatalweg. Die hier eingehobene Maut war für die Grafen von Plain-Hardegg eine wichtige Einnahmequelle, die sie sich schon vor der Stadtgründung gesichert hatten. Sie ließen hier zunächst einen Freihof – ein von Steuern befreites Anwesen – errichten. Zeitlich mit der Stadtgründung fällt die Errichtung einer Stadtburg an diesem Platz zusammen. Der Herrschaftssitz wurde durch die Hussiten schwer beschädigt und danach nicht wieder völlig aufgebaut. Für die Verwaltung wurde in der Folge der Meierhof an der Südwestecke der Stadt – heute Schloss Gatterburg – um- und ausgebaut. Der „Alt“hof diente fortan als „Steinbruch“. Ab 1990 wurde auf dem Areal das Hotel mit angeschlossener Hotelfachschule errichtet. Teile der Ringmauer der mittelalterlichen Burg an der Nord- und Westseite sowie das untere Wehrgeschoß des an der Nordwestecke des Zwingers errichteten Schalenturms sind noch erhalten.  

Vom Althof lohnt sich ein Abstecher zur Windmühle und, wenn man Glück hat, ist gerade der Windmühlheurige geöffnet. Wir biegen dazu links in die Windmühlgasse ein, folgen dieser bis zum Wiegensteig und gehen dann über Wiegensteig und Kalvarienberg hinauf zur Windmühle (etwa 15 Minuten Gehzeit).

Die Windmühle

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Windmühle Retz (Foto: © Monika Schaar-Willomitzer)
Das Wahrzeichen von Retz ist die einzige in Österreich noch erhaltene Windmühle des späten 18. Jahrhunderts. Im späten 18. Jahrhundert entstanden im Weinviertel an die 140 Windmühlen, da es in dieser wasserarmen Region kaum Möglichkeiten für die Errichtung von durch Wasserkraft betriebenen Mühlen gab. Die Retzer Mühle entstand 1772. 1833 erwarb sie Johann Tobias Bergmann, der in Pulkau das Handwerk erlernt hatte. Der Sachse lernte auf seiner Gesellenwanderschaft die Bauweise holländischer Mühlen kennen. Bei diesen ließ sich das Dach mit den Windflügeln in jede Windrichtung drehen. Die alte Retzer Windmühle war noch eine Bockwindmühle, bei der sich das gesamte Gebäude nach der Windrichtung drehte. Das Betriebsgebäude durfte daher nicht allzu groß sein, die Mahlleistung war dadurch gering. Bergmann baute die Mühle um, um ihre Produktivität zu steigern. Mit der Einführung von Dampfmühlen verloren Windmühlen immer mehr an Bedeutung. Die Retzer Mühle stellte schließlich 1925 ihren Betrieb ein. Bis heute befindet sie sich im Besitz der Familie Bergmann, die die seit 1928 unter Denkmalschutz stehende Mühle in funktionsfähigem Zustand erhält.

Wenn man den Rundgang ausdehnen will, so kann man hier noch der Kalvarienberganlage einen Besuch abstatten, deren Figurengruppen zwischen 1727 und 1737 errichtet wurden. Die Kreuzigungsgruppe ist ein Werk des Eggenburger Bildhauers Jakob Seer.

Znaimertor und Bürgerspital

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Blick auf das Znaimertor von der Stadtpfarrkirche aus (Foto: © Elisabeth Vavra)
Wir verlassen die Anhöhe und folgen der Windmühlgasse weiter bis zur Kreuzung mit der Znaimer Straße. In dieser steht das am besten erhaltene Tor der alten Stadtbefestigung: das Znaimertor. Das Bauholz wurde 1298/99 geschlägert, wie zwei im Original erhaltene Bauhölzer belegen. Die Entstehungszeit fällt also in die Zeit der Stadtgründung. Bis heute hat sich die gotische Bausubstanz des bis zur Traufhöhe ca. 22m hohen Gebäudes erhalten. Das markante Turmdach entstand um 1730. Bauliche Maßnahmen mussten nach dem Hussitensturm 1425 erfolgen, in dem auch das Znaimertor stark beschädigt wurde. Die Zinnenlücken wurden durch Schießscharten für die modernen Hakenbüchsen ersetzt. In der Torhalle befinden sich gotische Sitznischen. Ein rechteckiges, vergittertes Renaissancefenster in der westlichen Sitznische erinnert an eine weitere wichtige Funktion solcher Stadttore: Hier mussten die Händler vor dem Betreten der Stadt die Maut entrichten, eine wichtige Einnahmequelle vor allem zu Zeiten der Jahrmärkte.   

Hinter dem Znaimertor befindet sich das ehemalige Bürgerspital, in dem heute das Museum Retz und die Südmährische Galerie untergebracht ist. Das Spital der armen Siechen, eine Stiftung der Hardegger Grafen, war nicht ein „Spital“ im heutigen Sinn, sondern diente der Versorgung armer, alter oder kranker Menschen. Die Bürgerspitalsstiftung erfolgte vermutlich bereits vor 1279; das ursprüngliche Gebäude lag bei der Pfarrkirche außerhalb der Stadtmauern. Nach dem Hussitensturm wurde die Anlage in das Mauergeviert der Stadt verlegt. Die Anlage bestand aus dem Spitalhaus, einer Kapelle und einem angeschlossenen Friedhof. Das Spitalsvermögen mehrte sich im Laufe der Jahrhunderte durch Stiftungen, Vermächtnisse und Geschenke der Hardegger Grafen sowie der Retzer Bürger. Die Stiftung Bürgerspital Retz besteht bis heute und unterstützt aus den Erlösen ihres Grundbesitzes nach wie vor bedürftige Gemeindemitglieder. Die 1467 geweihte Bürgerspitalskapelle musste unter Joseph II. geschlossen werden. In der Folge wechselte die Nutzung des Gebäudekomplexes häufig. Das Gebäude diente als Theatersaal, Sparkasse, Gemeinderatssaal und Schule. 1948 wurden die Räumlichkeiten für das Heimatmuseum, heute Museum Retz, adaptiert.

Das Museum in Retz ist das älteste Stadtmuseum in Niederösterreich, Näheres dazu in einem der folgenden Blogbeiträge, wenn das Museum Retz im Museum Niederösterreich zu Gast sein wird.

Die Stadtpfarrkirche

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Stadtpfarrkirche St. Stephan (Foto: © Elisabeth Vavra)
Der Weg führt uns zurück zur Kreuzung und weiter rechts abbiegend die Kirchenstraße hinunter. Die Stadt- und Zwingermauern der östlichen Stadtbefestigung sind zwar in Abschnitten noch gut erhalten, leider liegen sie versteckt hinter dem Häuserensemble des 19. und 20. Jahrhunderts. Auf der anderen Straßenseite, also außerhalb der Befestigungsanlage, erhebt sich die Stadtpfarrkirche St. Stephan umgeben vom alten Friedhofsgelände. Die Anfänge der Pfarre reichen in das 12. Jahrhundert zurück. Der romanische Bau wurde durch die Hussiten 1425 zerstört. Den spätgotischen Neubau beschädigte ein Brand 1645. Der mächtige barocke Turm wurde 1701-1703 errichtet und 1733 noch einmal aufgestockt. Das Langhaus mit dem Chorjoch und der Apsis wurde 1727/28 errichtet. Die spätbarocke Ausstattung wird durch Elemente des 19. Jahrhunderts ergänzt. So ist das 1852 datierte Hochaltarbild ein Werk des in Markt Piesting geborenen Malers Leopold Kupelwieser, der ab 1836 als Professor für Historienmalerei an der Wiener Akademie unterrichtete. An der Kirchenmauer sind einige interessante klassizistische Grabsteine vom alten Friedhof eingelassen, so der des Stadtphysikus‘ Michael Spiller, der laut Inschrift in dieser seiner Heimatstadt in den halben Österreich u. Mähren viele Tausende von ihren Krankheiten heilte und durch 30 Jahre gleichsam Wunder wirkte.

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Grabstein des Arztes Michael Spiller, gest. 1794 (Foto: © Elisabeth Vavra)

Der Stadtpark

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Der Stadtpark im ehemaligen Zwinger (Foto: © Elisabeth Vavra)
Von der Pfarrkirche führt uns der Weg weiter die Kirchenstraße hinunter bis zu einem  Kreisverkehr; dort biegen wir in die Wallstraße ein. Hier an der Ecke zeigt sich wieder ein Teil der Befestigungsanlage: der dritte, zumindest teilweise noch erhaltene Eckturm. Die nordöstlich verlaufende Stadtmauer mit vorgelagertem Zwinger und Wall musste im 19. Jahrhundert einer Grünanlage weichen. Mit der Abtragung der Mauerteile begann man schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Bereits Schweickhardt in seiner Darstellung des Erzherzogtums unter der Enns schilderte 1835 die so entstandene Stadtpromenade: Rings um die gegen Osten gekehrte Seite der Stadt zieht sich eine wallähnliche Erhöhung hin, welche in neuester Zeit auf Anordnung des damaligen Bürgermeisters mit Bäumen besetzt und mit Bänken versehen wurde, um als angenehmer Spaziergang zu dienen […]. Hier im Stadtpark steht das Franzosenkreuz. Es erinnert an einen blutigen Abschnitt in der Geschichte der Stadt Retz: Es gedenkt der Toten des napoleonischen Feldzuges im Jahre 1809. Retz lag in unmittelbarer Nähe des Kriegsschauplatzes. Die Schlacht bei Znaim am 11. und 12. Juli 1809 endete wieder mit einer Niederlage der österreichischen Truppen und ihrer Verbündeten. Retz wurde durch französische Truppen besetzt. Neben den üblichen Kontributionszahlungen (=Zwangseinhebung von Geldbeträgen im feindlichen Gebiet durch Besatzungstruppen) hatte die Stadt die hier lagernden Mannschaften und deren Pferde zu versorgen. Und Retz war bereits seit 14. Juni 1809 Lazarettstadt. Die Zahl der zu versorgenden Verwundeten stieg stetig; schließlich waren es täglich bis zu 2000 Verwundete. Hunderte erlagen ihren Verletzungen: Österreicher und Russen ebenso wie Franzosen, Bayern und Portugiesen. Da der Stadtfriedhof viel zu klein war, bestattete man sie in einem Massengrab außerhalb der Stadtmauern (etwa im Areal des heutigen Badeparks). An dieser Stelle wurde zunächst ein Holzkreuz errichtet, das 1870 durch ein Steinkreuz ersetzt wurde. 1909 errichtete man nach Plänen des Bildhauers Hans Knespel überdies noch das Kriegerdenkmal 1809, das heute beim Kreisverkehr an der Kreuzung Wallstraße/Bahnhofstraße steht. 

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Das Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Jahres 1809 (Foto: © Elisabeth Vavra)

Schloss Gatterburg

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Das Schloss Gatterburg (Foto: © Elisabeth Vavra)
In Zusammenhang mit der Neugründung der Stadt Retz 1279 entstand an der südöstlichen Ecke der Stadtbefestigung ein burgartiges Gebäude, das in der Folge zum Verwaltungssitz der Herrschaft wurde. Ab 1616 wollte der damalige Besitzer Paul von Krausenegg statt des mittelalterlichen Baus ein neues Schloss als bequeme Wohnung und Zierde der Stadt errichten. Sein früher Tod verhinderte sein Vorhaben. Es kam nur zu Abbruchsarbeiten. Erst unter den Grafen Hoyos, die 1630 die Herrschaft Retz erworben hatten, kam es ab 1663 zu Um- und Neubauarbeiten, um ein Schloss im Stil der Spätrenaissance zu errichten. In den neuen Komplex wurden Bauteile des Vorgängerbaus miteinbezogen. 1672 war der Bau des Hauptgebäudes abgeschlossen. Die Fertigstellung erfolgte aber erst durch Konstantin Josef von Gatterburg, der 1709 den Besitz erwarb. Ihm verdankt das Schloss sein heutiges Aussehen. 1829 erwarben die Gatterburgs auch die vorgelagerte Stadtbefestigung mit Zwinger, Wall und Graben und gestalteten diese in eine Gartenanlage um. Das Schloss ist leider nicht zu besichtigen, aber das Schlossrestaurant verwöhnt Besucher*innen mit seinem kulinarischen Angebot. Lohnend ist auch ein Besuch des im ehemaligen Schüttboden untergebrachten Fahrradmuseums: Die Mauerteile, die hier noch zu sehen sind, sind Überreste des mittelalterlichen Gebäudes.

Über den Schlossplatz und durch die Wienerstraße kommen wir wieder zurück zum Hauptplatz, den Ausgangspunkt unseres Spazierganges durch geschichtsträchtige Gassen in Retz.

 

Autorin: Prof.in Dr.in Elisabeth Vavra

Literatur:
Thomas Dammelhart u.a., Retz anno 1809. Not und Elend durch Napoleon, Retz 2009.
Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler Österreichs, Niederösterreich nördlich der Donau, Wien 1990, S. 962–976.
Gerhard Reichhalter, Karin und Thomas Kühtreiber, Burgen Weinviertel, Wien 2005, S. 331–339.
Rudolf Resch, Retzer Heimatbuch, 2 Bde., Band 1: Von der Urzeit bis zum ausklingendem Mittelalter, Retz 1936; Band 2: Von der beginnenden Neuzeit bis zur Gegenwart, Retz 1951.
Ronald Woldron, Retz. Stein um Wein. Eine Stadt im Spiegel ihrer Befestigungsanlagen, [Retz 2015].

Hilfreiche Links:
Fahrradmuseum: www.fahrradmuseum.at
Museum Retz: www.museumretz.at
Informationen zu Veranstaltungen etc.: www.retz.gv.at
Informationen zu den Stadtmauerstädten Niederösterreich: stadtmauerstaedte.at

 

 

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