Zugvögel

© NÖ Museum Betriebs GmbH, Foto: Theo Kust

Rätselhaft und faszinierend


Der Vogelzug ist eine ungemein auffallende Erscheinung, die den Menschen seit Jahrtausenden fasziniert. Allerdings konnte man sich die längste Zeit über keinen Reim auf das plötzliche Verschwinden und Wiederauftauchen vieler Vögel machen. Der griechische Philosoph Aristoteles etwa glaubte, dass sich manche Vögel saisonbedingt verwandeln würden – eine Ansicht, die sich viele Jahrhunderte lang halten sollte. (So dachte man beispielsweise, dass aus Gartenrotschwänzen im Winter Rotkehlchen würden. Und der Kuckuck stand im Verdacht, sich im Herbst in einen Greifvogel zu verwandeln.) Noch im 18. Jahrhundert meinte schwedische Naturforscher Carl von Linné, dass Weißstörche und Schwalben im Schlamm von Gewässern Winterschlaf halten würden.
Die wissenschaftliche Erforschung des Vogelzuges ist dagegen sehr jung. Zunächst versuchte man, die Muster in der Zugbewegung der Vögel durch Feldbeobachtung zu entschlüsseln. Im Jahre 1899 führt der Däne Hans Christian Cornelius Mortensen als erster in größerem Umfang eine wissenschaftliche Vogelberingung durch. Er versah die leichten Metallringe, die er den Tieren ums Bein legte, mit einer Nummer und einer Rückmeldeadresse. Auf diese Weise konnten zum ersten Mal verlässliche Daten über das Verhalten der Zugvögel gewonnen werden. Mortensens Methode wurde bald europaweit angewandt. Bis heute wurden an die 60 Millionen Vögel beringt. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind von unschätzbarem wissenschaftlichem Wert: Mittlerweile sind die Zugruten von mehr als 100 Vogelarten bekannt.


Buntspecht (Standvogel),
Foto: Thinkstock
Globetrotter und Reisemuffel

Standvögel halten sich das ganze Jahr über im selben Gebiet auf. Sie werden deshalb auch als Jahresvögel bezeichnet. In unseren Breiten gehören zu den Standvögeln zum Beispiel der Haussperling, die Kohlmeise, der Buntspecht oder der Habicht. Diese Vögel können deshalb auch im Winter in unserer Region bleiben, weil sie auch während der kalten Jahreszeit ausreichend Futter finden. Zugvögel (zu denen etwa drei Viertel aller Vogelarten zählen) legen zwischen ihrem Sommer- und ihrem Winterquartier zweimal im Jahr eine mehr oder weniger lange Strecke zurück.
Je nach der Länge dieser Strecke unterscheidet man zwischen Kurz-, Mittel- und Langstreckenziehern.

Zu den Kurzstreckenziehern zählen jene Vogelarten, deren Brutgebiet weniger als 2.000 km vom Winterquartier entfernt ist. (Zu diesen gehören jene mitteleuropäischen Vögel, die im Mittelmeerraum überwintern wie zum Beispiel das Rotkehlchen.) Viele Kurzstreckenzieher sind keine obligaten Zugvögel, sondern sogenannte Teilzieher.
Zugvögel im Landesmuseum,
Foto: J. Weitzenböck
Ihr Verhalten ist von den klimatischen Verhältnissen abhängig,  und nicht alle Individuen einer Population verlassen im Winter das Brutgebiet. legen oft bereits beachtliche Distanzen zurück, die sie typischer Weise in mehreren Etappen bewältigen. Am eindrucksvollsten sind jedoch zweifellos die Leistungen der Langstreckenzieher. Ihre Brutgebiete sind in der Regel mehr als 4.000 km (oft auch deutlich weiter) von den Überwinterungsgebieten entfernt. Zu den Langstreckenziehern gehören alle europäischen Vögel, die südlich der Sahara überwintern – wie zum Beispiel Rauchschwalbe, Mauersegler, Gartenrotschwanz oder Weißstorch.

Mittelstreckenzieher
Oft wenden Arten auch mehrere Zugstrategien an: Mönchsgrasmücke und Zilpzalp zum Beispiel können sowohl Standvögel als auch Kurzstreckenzieher und Langstreckenzieher sein. In jüngster Vergangenheit wurde das Zugverhalten der Vögel in immer stärkerem Maße durch den Klimawandel und durch menschliches Verhalten geprägt: Immer mehr Zugvögel ziehen kürzere Strecken oder werden sogar zu Standvögeln. Die Amsel beispielsweise überwinterte noch bis vor etwa 100 Jahren in Südeuropa und Nordafrika. Mittlerweile bleibt sie das ganze Jahr hindurch bei uns, da sie in Gärten und Parkanalgen alles findet was sie zum Überleben braucht.


Der „sechste Sinn“ der Vögel
Magnetkompass, Foto: Thinkstock


Die Wanderbewegung der Zugvögel hat verschiedene Ursachen. Der Hauptgrund jedoch ist das schwankende Nahrungsangebot: Die Tiere ziehen immer dort hin, wo sie am meisten zu fressen finden. Auf ihrem Weg überwinden sie natürliche Barrieren wie Gebirge, Meere und Wüsten. Um dies zu bewerkstelligen, benötigen sie nicht nur besondere Energiereserven, sondern auch einen hervorragenden Orientierungssinn.
Zugvögel orientieren sich bei ihren Wanderungen nicht nur an Landmarken (wie etwa Städten oder Autobahnen). Sie sind auch in der Lage, den Sonnenstand  zur Orientierung heranzuziehen. Zumindest einige Arten dürften sogar das Polarisationsmuster des Himmelslichts erkennen. Die Nachtzügler unter den Zugvögeln richten sich vor allem nach den Sternen. Dabei orientieren sie sich jedoch nicht an irgendwelchen Sternkonstellationen, sondern beobachten die scheinbare Rotation der Sterne um den Himmelspol. Zudem besitzen Zugvögel eine Art „sechsten Sinn“, mit dessen Hilfe sie das Magnetfeld der Erde erkennen können. Dieser Magnetsinn funktioniert wie eine Art biologischer Kompass. Allerdings ist noch nicht genau geklärt, wo er liegt. (Vermutlich wandeln Lichtrezeptoren im Auge der Tiere magnetische in visuelle Informationen um. Neuersten Erkenntnissen zufolge sollen auch mikroskopisch kleine Strukturen im Schnabel der Vögel als besonders genaues Magnetsinnesoran fungieren.) Neben dem Sehsinn und dem Magnetsinn werden aber auch das Gehör und der Geruchssinn von den Zugvögeln bei der Orientierung eingesetzt. Wann und wohin ein Vogel zieht, muss er nicht erst lernen. Denn das Wissen um Weg und Ziel ihres Zuges ist den Tieren angeboren.

Text: Dr. Andrea Benedetter-Herramhof

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