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Gelse

Hoher Ton und schlechter Ruf

Gelsen sind mehr als sommerliche Störfaktoren. Ein Plädoyer.

TIPP: Erlebte Natur: Die Gelse - Plage oder Notwendigkeit

In den letzten Tagen lösen hohe Temperaturen eher kühle und verregnete Wochen ab. Die starken Schneefälle des letzten Winters, die sogar im Mai noch Schifahren möglich machten, schmelzen dahin. Ein Besuch an der Donau zeigt die Folgen. Das Flussbett ist voll, Uferzonen und Traversen sind überflutet, in der Au steht das Wasser. Und mancher Überflutungstümpel beherbergt Bewohner, die es wohl nie zu Sympathieträgern schaffen werden: Gelsen.

Artenvielfalt

Wer sich die Mühe macht, ein wenig genauer hinzuschauen, wird es schnell merken: Gelsen sehen unterschiedlich aus und treten zu unterschiedlichen Tageszeiten auf. „Die“ Gelse gibt es nicht, es sind allein in Österreich rund 50 verschiedene Arten.

Gelsen in Siedlungen …

Unabhängig vom Wasserstand der Flüsse leben die „Hausgelsen“ (Culex sp.). Sie überwintern in frostfreien Kellern und Dachböden und legen ihre Eier auch in kleinsten Wasseransammlungen ab. Ein wassergefüllter Blumentopfuntersetzer auf der Terrasse oder eine vom Regen befüllte Dose wird da schnell zum Lebensraum.

Und anstatt mit Giften seine Haut zu belasten oder mit elektrischen Insektenvernichtern einen Kahlschlag unter allen dämmerungsaktiven Insekten anzurichten, kann man hier schnell für Reduktion sorgen. Mit einer Abdeckung für die Regentonne und ein bisschen Aufmerksamkeit für kleinere Wasseransammlungen lässt sich der Konflikt schnell entschärfen.

… und in der Au

In den Augebieten sind es jetzt die „Überschwemmungsgelsen“ (Aedes sp., Ochlerotatus sp.), die von den herrschenden Verhältnissen profitieren. Also jene Arten, die ihre Eier in trockenliegende Überschwemmungsgebiete ablegen, wo sie jahrelang ohne Wasser überdauern können. Kommt das sommerliche Hochwasser, können sich gleichzeitig und in kürzester Zeit Massen von Larven entwickeln.

Wozu sind die überhaupt gut?

Diese Frage stellen belästigte Menschen recht schnell. Und meinen konkret damit, ob Gelsen für uns einen Nutzen haben. Aber die Welt ist mehr als eine Komfortzone für Menschen, wo allen Arten ohne offensichtliche Brauchbarkeit Gewehr und Gift zuzuführen sind. Zu wenig ist uns bewusst, dass unsere Lebensgrundlagen von dem großen ökologischen Netz getragen werden, in das auch die Gelsen eingeflochten sind.

Mobile Filteranlagen

Gelsenlarven tragen zur Sauberkeit unserer Gewässer bei. Das liegt allein an ihrer Ernährungsweise als aktive Filtrierer. Mit feinen Mundbürsten sieben sie Nahrungspartikel wie Kleinplankton und Schwebstoffe aus dem Wasser. Eine Augelse (Aedes sp.) kann dabei in der Stunde rund 650 µl Wasser bearbeiten. Hochgerechnet bedeutet die Nahrungsaufnahme von rund 1500 Gelsenlarven innerhalb einer Stunde einen von Schwebstoffen befreiten Liter Wasser.

Knotenpunkt im Nahrungsnetz

Dabei sind die Gelsenlarven selbst fester Bestandteil im Speiseplan zahlreicher Amphibien, Fische und Insekten wie Schwimmkäfer oder Wasserwanzen. Ein Gelbrandkäfer kann in 24 Stunden über 30 Gelsenlarven vertilgen, ein Molch sogar mehrere hundert.

Die erwachsenen Gelsen, die selbst auch Blütenbestäuber sind, werden dann von Fledermäusen, Vögeln und Insekten wie Libellen gefangen. In den Nahrungsnetzen spielen sie damit sicher keine untergeordnete Rolle.

Bekämpfung mit BTi

Gelsenlarven werden mittlerweile mit Eiweißen bekämpft, die aus dem Bakterium Bacillus thuringiensis israelensis (B.t.i.) gewonnen werden. Stets wird die Harmlosigkeit und Zielgenauigkeit dieser Methode versichert. 

Diese Zielgenauigkeit entspricht in etwa jener eines „Gelsen-Griller“ auf der Heurigenterrasse, der kein dämmerungsaktives Insekt verschont. Auf einem Informationsblatt des Nationalpark Donau-Auen steht dazu: „BTi zeigt innerhalb der Diptera* eine tödliche Breitbandwirkung und trifft damit nicht nur alle unsere Stechmückenarten, sondern zum Beispiel auch alle Kriebelmücken- und Zuckmückenarten, die ebenfalls einen Hauptbestandteil der Nahrung für Wasservögel, Fledermäuse und Fische darstellen.

Und Alkohol ist auch keine Lösung

Die Frage, ob Alkohol im Blut Gelsen vom Stich abhalten bzw. ebenfalls beeinträchtigen würde, beantwortetet die Wissenschaftlerin Carina Zittra im Juni 2018 bei einem Vortrag im Naturhistorischen Museum Wien. Erst ab etwa 5 Promille Blutalkohol-Gehalt würden auch blutsaugende Gelsen beeinträchtigt. Ihr Resümee: „Probieren Sie‘s lieber nicht!“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Mag. Norbert Ruckenbauer
Kulturvermittler Museum Niederösterreich, Nationalpark-Ranger Donau-Auen


Anmerkung I:
Diptera sind Zweiflügler, also die große Gruppe der Mücken und Fliegen
Anmerkung II:
Der Autor ist als Nationalpark-Ranger in diesen Tagen in den Donauauen auch selbst aktiver Blutspender.

Literatur:
· BELLMANN Heiko, HONOMICHL Klaus (2007) Biologie und Ökologie der Insekten. Begründet von Werner Jacobs und Maximilian Renner. Spektrum Akademischer Verlag: München.
· Infoblatt Nationalpark Donau-Auen, NP-Zentrum Schloss Orth, Außengelände Schlossinsel, Stand 29.Juni 2012
· ZITTRA Carina (2013) Grundlagenwissen über Stechmücken (Culicidae: Diptera) des Nationalparks Donau-Auen. Handout für NP-MitarbeiterInnen
· ZITTRA Carina, FUEHRER Hans-Peter (Vet. Med. Uni. Wien) Stechmücken in Österreich – Wen juckt’s? Vortrag im Naturhistorischen Museum Wien am 6. Juni 2018.

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