Dem Luchs auf der Spur – Tier des Jahres 2022

Eurasischer Luchs, © Shutterstock: 1132779164, Foto: Milan Rybar

Wir befinden uns in der slowakischen Liptau.
Ich bin mit einer Gruppe Gleichgesinnter auf „Jagd“ nach den großen drei Beutegreifern Bär, Wolf und Luchs. Wir stapfen durch den etwa 5cm tiefen Neuschnee von gestern Abend. Perfekte Bedingungen zum Spurenlesen. Es geht uns nicht darum, die Tiere zu stören oder gar zu erlegen, ganz im Gegenteil. Wir wollen mehr über sie erfahren und die alte Kunst des Spurenlesens erlernen.

Wir streifen möglichst still durch den Wald und verständigen uns nur mit Handzeichen. Vorsichtig setzten wir einen Fuß vor den anderen und bewegen uns im sogenannten „Fuchsgang“. Dabei wird darauf geachtet, beim Absetzen des Fußes so wenig Bodenvibrationen wie möglich zu erzeugen. Die Warnschreie der Amsel verraten uns dennoch immer wieder. Nichts entgeht ihren scharfen Augen und feinen Ohren.

Plötzlich entdecken wir die Fährte eines Tieres, welches ebenfalls einen hervorragenden Geruchs- und Gehörsinn hat. Das Trittsiegel ähnelt beim ersten Betrachten dem eines Wolfes, jedoch ist es ein wenig rundlicher, und es sind keine Krallenabdrücke ersichtlich. Beim nächsten Trittsiegel sieht man dann auch, dass der Mittelfußballen drei-lappig ist und die Zehenabdrücke nicht symmetrisch. Ganz klar, ein katzenartiges Tier. In Verbindung mit der Größe des Trittsiegels ist es nun klar: Es handelt sich um einen Luchs! Und zwar Lynx lynx, den Eurasischen Luchs, der selten, aber doch mittlerweile auch wieder bei uns in Niederösterreich vorkommt.

Der Größe und Beschaffenheit des Trittsiegels nach gehen wir davon aus, dass es sich nicht um einen männlichen Kuder, sondern um eine weibliche Luchskatze handelt. Wir folgen der Spur weiter und können daraus das typische Verhalten eines Luchses herauslesen. Die Katze schleicht vorsichtig in Kurven um die Buchen. Es wirkt fast so, als würde sie die Nähe dieser Riesen suchen. Der Grund dafür liegt in ihrem Pirschverhalten. Anders als der Wolf, der meist im Trab unterwegs ist und nach Witterung seiner Beute Hetzjagd betreibt, schleicht der Luchs von Deckung zu Deckung, um einerseits von Menschen und von seinen Fressfeinden Wolf und Bär nicht so leicht entdeckt zu werden, aber auch damit seine Beutetiere ihn nicht erblicken. Das wäre für einen Luchs nämlich ungünstig. Längere Verfolgungsjagden hält der Luchs nicht durch. Seine Taktik ist, sich anzuschleichen und dann aus kürzerer Distanz blitzschnell zuzuschlagen. Ähnlich unserer Hauskatze, die so wie der Luchs zu den Kleinkatzen zählt, bei der Mäusejagd.

Als uns die Fährte aus dem Wald führt, können wir erkennen, dass die Katze auch hier weiter von Busch zu Busch pirscht. Dann macht sie etwas für uns Unerwartetes. Die Fährte führt nun gut 200 Meter entlang eines Weges am Waldrand. Vermutlich einfach um Energie zu sparen. Es ist ein Weg, der am Tag auch von Spaziergängerinnen mit ihren Hunden benutzt wird. Ein Indiz dafür, dass die Fährte von heute Nacht stammen muss. Wohl kaum würde ein Luchs diesen Weg bei Tag riskieren. Das passt auch auf unsere Alterseinschätzung der Fährte. Außerdem sind Luchse vorwiegend dämmerungs- und nachtaktiv.

Die Entdeckung

Die Spur führt wieder ins Dickicht. Wir folgen ihr in Schlangenlinien bergauf zwischen Brombeersträucher und Jungbuchen hindurch. Dann entdecken wir etwas sehr Besonderes. Ein gerissenes Reh. Wir untersuchen den Riss, um zu sehen, ob er tatsächlich vom Luchs stammt oder ob er den Riss nur durchsucht hat. Die Hauptnahrungsquellen des Eurasischen Luchs sind Rehe, Gämsen, Hirschkälber und Mufflons, gelegentlich auch kleinere Tiere wie z.B. Feldhasen, Frischlinge, Frösche, Füchse, Marder und Vögel; der Luchs ist ein Nahrungsopportunist. Das bedeutet, er hält sich an die Nahrung, die am besten, also in kürzester Zeit und mit geringstem Energieaufwand, zu fangen ist.

Das gerissene Reh hat einen sauberen Kehlbiss, Kopf und Gliedmaßen sind nicht abgetrennt und die „Decke“ (das Fell) ist zum Teil abgezogen. Das ist eine Taktik des Luchses. Alles deutet darauf hin, dass dieses Reh vom Luchs erlegt wurde. Er zieht das Fell so weit ab, wie er zu fressen vermag, dann zieht er weiter zur Revierkontrolle oder vielleicht in sein Schlafversteck. Das kann z.B. eine (Baum)höhle oder Felsnische sein. In der nächsten Nacht kommt er dann zurück und zieht die Decke ein wenig weiter ab zum Fressen. So bleibt der Riss frischer und ist etwas geschützt. Es kann auch vorkommen, dass der Luchs seine Beute mit Schnee oder Laub zudeckt oder ein kleines Stück ins Dickicht bringt. Ein ausgewachsener Luchs verzehrt im Schnitt etwa 2kg Fleisch pro Tag, das entspricht etwa einem Reh pro Woche.

Nach der Inspektion des Risses kehrt die Dämmerung ein. Wir können noch sehen wie die Spur vom Riss wieder wegführt in den Buchenwald hinein, doch es ist Zeit umzukehren.
Voll mit Eindrücken des heutigen Tages kehren wir in unser Quartier zurück und überlassen die Wildnis und den Rehriss wieder dem Luchs und den vielen anderen Lebewesen, die mit uns hier leben.

Luchs
Eurasischer Luchs, © Shutterstock: 2100851404, Foto: Vaclav Matous

 

Situation in Österreich und Europa

Ursprünglich in Europa weit verbreitet, verschwand der Luchs im 19. Jahrhundert immer mehr aus Österreich und vielen anderen Teilen Europas. 1918 wurde dann laut Aufzeichnungen im Bregenzer Wald der letzte Luchs Österreichs oder gar Westeuropas erlegt. Der Luchs wurde als Nahrungskonkurrent des Menschen betrachtet.
Grund für das Verschwinden waren neben intensiver Verfolgung auch Lebensraumverlust und eine Reduktion seiner Beutetiere.
1979 wurde der Luchs im Zuge der Berner Konvention letztlich EU-weit unter Schutz gestellt.

Bestand:
Europa gesamt: 7000 Individuen (geschätzt)
Österreich: 17-35 Individuen (2019)

Vorkommen in Österreich:
- Wald und Mühlviertel (Teil der grenzübergreifenden Böhmerwaldpopulation)
- Kalkalpen (Teil der Alpenraumpopulation)
- vereinzelte Vorkommen/Sichtungen in Vorarlberg und im Bereich Hochschwab/Rax/Schneeberg

Die Bestände in Mitteleuropa sind allesamt auf Wiederansiedelungen zurückzuführen.

Konflikte

Die meisten Luchse verursachen keine Nutztierschäden. In Gebieten mit Luchsvorkommen fallen die durch den Luchs verursachten Nutztierrisse eher gering aus und betreffen dann zumeist Schafe, seltener Ziegen.

Es gibt in freier Wildbahn keine Belege für Angriffe von gesunden Luchsen auf Menschen. Auch für Kinder stellt der Luchs keine Gefahr dar.

Was braucht der Luchs?

Vor allem das Verständnis, dass uns Menschen die Welt nicht allein gehört. Respekt vor den anderen Wesen da draußen. Das gilt auch für die anderen großen Beutegreifer. Die Zeit ist wohl reif, um anzuerkennen, dass Österreich und Europa auch die Heimat dieser Tiere sind und sie ein wichtiger Bestandteil für unser Ökosystem sind, der all die Jahre auch tatsächlich gefehlt hat.

Auch wenn der Luchs hierbei mittlerweile eine geringere Rolle spielt, darf insgesamt auf die Sorgen und Ängste der Weidetierhalter nicht vergessen werden. Ich unterhalte mich regelmäßig mit (Berg)bauern in Tirol und Kärnten und ich bin auf einem Hof mit Ziegen und Schafen im Weinviertel aufgewachsen, wo jedes Tier einen Namen trägt. Meine Familie betreibt den Hof weiterhin und natürlich stellt sich die Frage, wie mit der Situation angemessen umgegangen werden soll. Aber wollen wir diese Tiere wirklich töten, weil sie unsere Nahrungskonkurrenten sind, oder wollen wir Wege finden, wie wir zusammenleben können?

Um den Luchsbestand dauerhaft zu etablieren, braucht es folgende konkrete Maßnahmen:

Lebensräume müssen verbunden werden. Dies geschieht z.B. durch Wildtierbrücken und Korridore. Das verhindert das Sterben vieler Tiere auf Straßen und Bahngleisen und fördert den wichtigen genetischen Austausch. Darum steht es nämlich nicht gut bei uns in Österreich.

Wir müssen naturnahe Lebensräume fördern.
So wie die meisten Wildtiere sind auch der Luchs und seine Beutetiere auf naturnahe Wälder mit viel Totholz und starkem Bewuchs in der Kraut-, Strauch- und Baumschicht zum Verstecken und Pirschen angewiesen. Es braucht also mehr Gebiete unter Schutz; insbesondere Wildnisgebiete. Oft reicht aber auch schon eine nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder und Äcker mit vielen Hecken, die dem Luchs als „Verbindungsstraße“ zwischen Gehölzen dienen.

Ansiedelung
Der Luchsbestand ist auf Ansiedelung angewiesen. Anders als der Wolf, der sich mehr oder weniger von allein ausbreitet, legen junge Luchse, insbesondere die Katzen, nur kurze Strecken zurück bei der Reviersuche nach Verlassen der Mutter und sind somit auf die Unterstützung von uns Menschen, die sie einst ausgerottet haben, angewiesen.

Vorgehen gegen Wilderei
Dafür braucht es die Aufklärung der Bevölkerung, die Fachkenntnis bei den Behörden, mehr Kontrollen und eine konsequente Strafverfolgung.

Der Luchsbestand in Österreich ist nicht gesichert!

Steckbrief

 

Und was hat es jetzt eigentlich mit den Pinseln auf den Ohren auf sich?!?

Nun, das wissen wir nicht genau.
Es wird angenommen, dass sie der Kommunikation mit anderen Luchsen dienen oder sie dadurch die Windrichtung besser erspüren können. Vielleicht ist es aber auch einfach eine Laune der Natur!     

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Autor: Lois Gretzmacher

Quellen und weiterführende Links:
https://naturschutzbund.at/haeufige-fragen-zum-luchs.html
https://www.wwf.at/tierarten/luchs/
https://www.wwf.at/artikel/verbreitung/
https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/umwelt-tiere/tiere/fischerei-und-jagd/jagd/artenschutz_artenfoerderung/merkblatt_luchsriss.pdf
https://baer-wolf-luchs.at/beutegreifer/luchs
https://naturschutzbund.at/files/projekte_aktionen/luchs/SituationLuchsOENBBericht.pdf


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