Das Arbeitserziehungslager Oberlanzendorf
Heute eine stille Straße, die die Ortsteile Maria Lanzendorf, Oberlanzendorf und Unterlanzendorf verbindet. Nur eine 1988 an der Ortskapelle angebrachte Gedenktafel erinnert an das schreckliche Schicksal der Opfer.Ort des Schreckens war das Schloss Oberlanzendorf, ein Bau, dessen Anfänge zumindest in das 17. Jahrhundert zurückreichen; Vischer nahm es 1672 in seine Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae auf. Das Besitztum verlor im Laufe der Jahrhunderte an Bedeutung. Schweickhardt beschreibt es in seiner Darstellung des Erzherzogthums Österreich unter der Ens 1831 schon als gebäude von einfacher, alter Bauart, worin keine Gegenstände sich befinden, die erwähnenswerth wären. 1830 hatte es Moritz Edler von Tschoffen erworben und darin eine Metallgeschirrfabrik eingerichtet, die 1841 in eine Messingwarenfabrik umgewandelt wurde. Am 10. November 1900 wurde in dem Schloss das „Kaiserin Elisabeth-Asyl für verkrüppelte Kinder“ eröffnet, wie Der neue Bezirksbote für den politischen Bezirk Bruck a. d. Leitha in der Ausgabe vom 9. Dezember 1900 berichtete. Am 26. Mai 1907 war das Asyl dem Bezirksboten wieder eine Titelstory wert, denn der Kaiser hatte es am 21. Mai mit Gefolge besucht: Es war ein rührender Anblick, die Begeisterung und reine Festesfreude der armen Kleine zu sehen, mit welcher sie den Monarchen begrüßten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es ein Heim für „schwer erziehbare Jugendliche“.
Nach dem Anschluss erfolgte mit Gesetz vom 15. Oktober 1938 die Eingemeindung von 97 Gemeinden in das Gebiet von Wien: Groß-Wien wurde geschaffen, das nun 25 Bezirke umfasste und von Klosterneuburg im Nordwesten fast bis zum Burgenland im Südosten reichte. Der neue 23. Bezirk bestand aus dem Gerichtsbezirk Schwechat und aus nahezu dem gesamten Verwaltungsbezirk Bruck an der Leitha. So wurde auch Oberlanzendorf Teil von Wien. Das Areal des Schlosses Oberlanzendorf war nach dem Anschluss in den Besitz der Gemeinde Wien gelangt, die das Heim für „körpergeschädigte“ Jugendliche weiterführte. Am 3. September 1940 genehmigte der Bürgermeister von Wien die Errichtung einer „Arbeitsanstalt für Männer über 18 Jahre“ im Schloss Oberlanzendorf. Seit dem Anschluss war es möglich, ohne gerichtliches Urteil Einweisungen in Arbeitsanstalten zu veranlassen. Rechtliche Grundlage war § 16 der am 3. September 1939 erlassenen Verordnung über die Einführung fürsorgerechtlicher Vorschriften im Lande Österreich. Ziel war
die durch Zwangserziehung zu erwirkende Einordnung der Angehaltenen in die Volksgemeinschaft, bei Arbeitsscheuen die Eingliederung in den Arbeitsprozess.
Wer nach nationalsozialistischen Maßstäben „asozial“ oder „arbeitsscheu“ war, sollte in den Arbeitserziehungslagern (AEL) zu „nützlichen“ Mitgliedern der „Volksgemeinschaft“ erzogen werden. Zur Einstufung bediente man sich der Richtlinien für die Beurteilung der Erbgesundheit. Betroffen waren daher
1. Personen über 18 Jahre, die, obwohl arbeitsfähig, infolge ihres sittlichen Lebenswandels der öffentlichen Fürsorge anheimfallen, beharrlich Arbeit ablehnen oder sich ihrer Unterhaltspflicht entziehen.
2. Gemeinschaftsfremde Personen, die arbeitsscheu sind und ihre Kinder laufend öffentlichen oder privaten Wohlfahrtseinrichtungen, insbesondere auch der NSV (= Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) aufzubürden suchen, bzw. Familien, die ihre Kinder als Einnahmequelle betrachten.
3. Personen, die durch unsittlichen Lebenswandel auffallen (Trinker), durch unsittliches Gewerbe ihren Lebensunterhalt teilweise oder ganz verdienen.
4. Abkömmlinge von Personen (Punkt 1–3), bei denen Zwangsmaßnahmen zur Verhütung eines zu erwartenden gemeinschaftsfremden Lebenswandels rätlich erscheinen. (zitiert nach Prinz, S. 194)
Der Ablauf einer solchen Einweisung umfasste mehrere behördliche Vorgänge: Arbeitsämter, die NSDAP, die Polizei, die Gesundheits- und Wohlfahrtsämter etc. stellten auf dem Amtsweg Anträge auf Einweisung bei der Abteilung VI/2 – dem Hauptgesundheitsamt. Oft erfolgten diese auch aufgrund von Anzeigen durch Privatpersonen bei der Gestapo. Nach der Anzeige erfolgten Erhebungen von Amts wegen, bis schließlich die neu geschaffene „Asozialenkommission“ den endgültigen Antrag auf Einweisung stellte. Wurde die betroffene Person zum ersten Mal eingewiesen, war die Dauer der Anhaltung auf sechs Monate beschränkt, konnte aber bis auf zwei Jahre verlängert werden, wenn sich nicht rechtzeitig eine „Besserung“ des Verhaltens zeigte.
Ab Herbst 1940 sollte eine groß angelegte Aktion gegen „Asoziale“ in Wien gestartet werden. Die erwünschten Festsetzungen blieben aber unter den Erwartungen von Reichsstatthalter Baldur von Schirach, der sich 400–500 Einlieferungen erhofft hatte; eine Zahl, die auch platzmäßig nicht zu bewältigen wäre, denn zunächst verfügte das AEL Oberlanzendorf nur über 60 Betten. Geklärt war auch nicht die Bewachung durch die Schutzwache, da es an Personal mangelt. Schließlich übernahm die Gestapo die Bewachung. Im März 1941 wurde das Lager Oberlanzendorf als Reichslager der Staatspolizei eröffnet und unterstand ab 8. Juli 1941 nun in allen Belangen der Gestapo Wien als Reichsarbeitserziehungslager. Diese neue Führung spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Belegung. War zunächst die „Asozialenkommission“ für die Einweisungen zuständig, so verlor sie im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung. Die Gestapo wies vermehrt straffällige ausländische Zwangsarbeiter – Polen, Russen, Italiener, Griechen, Niederländer und Südslawen – in das AEL Oberlanzendorf ein.
„Rechtliche“ Grundlage für den Betrieb der AEL bildete ein Erlass vom 28. Mai 1941. Anlass für diesen Erlass war laut Himmler die steigende Zahl von Arbeitsvertragsbrüchen durch „Ausländer und andere Arbeitskräfte“, die die Arbeit verweigerten oder die Arbeitsmoral durch ihr Verhalten untergruben. Die AEL dienten ausschließlich zur Aufnahme von arbeitsunlustigen Elementen, deren Verhalten einer Sabotage gleichkommt. Lagerordnungen regelten Dienstbetrieb, Arbeitszeit, Lagerstrafen, Aufnahme, Entlassung, Umgang mit den Lagerinsassen usw. Zwar fehlen für Oberlanzendorf lückenlose Quellenreihen, aber ein erhaltenes „Häftlingsbuch“ gibt zumindest für den Zeitraum von 1. Jänner 1944 bis 13. Juli 1944 Aufschluss über Zahl, Einlieferungsgründe etc.: Rund 2.440 Personen wurden in diesem Zeitraum nach Oberlanzendorf überstellt. Den größten Anteil machten „Ostarbeiter“ aus der Ukraine bzw. aus Russland aus. Da zumeist junge Menschen als Zwangsarbeiter für die Rüstungsindustrie aus den besetzten Ländern verschleppt wurden, gehörten 75% der in Oberlanzendorf Einsitzenden der Altersgruppe bis 30 Jahren an. Die angeführten Vergehen umfassten einerseits Verstöße gegen Arbeitsverträge, Arbeitsbummelei, Arbeitsflucht usw., andrerseits „Straftaten“ wie Diebstahl, Körperverletzung, Verstöße gegen die Lagerordnung, Raufhandel, Sabotage oder Beleidigung des Führers.
Ab 1943/44 wurden auch Frauen in Oberlanzendorf interniert. Nach der Okkupation Ungarns durch deutsche Truppen im März 1944 setzten in Ungarn Verfolgung und Deportation der jüdischen Bevölkerung ein. Noch im selben Monat verhaftete die SS „verdächtige“ Personen – Aristokraten, Politiker, Künstler und Großunternehmer – und brachte sie in zwei Transporten zunächst nach Oberlanzendorf. Weitere Verhaftungswellen folgten. Das AEL Oberlanzendorf war für viele nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Konzentrationslager Mauthausen, Auschwitz und Bergen-Belsen.
Da die Gebäude des ehemaligen Kinderasyls zu wenig Platz boten, errichtete man ab Ende 1942 auf der Fläche zwischen Schlossgebäude und der Schwechat für die Unterbringung der Häftlinge ein Barackenlager. Die meisten Baracken waren nicht beheizbar. Mit der Internierung von weiblichen Häftlingen wurde die Anlage eines Frauenlagers nötig, die im Dezember 1943 erfolgte. Die Frauen wurden für Küchenarbeit, in der Nähstube und auf der Krankenstation eingesetzt. Die katastrophalen Lebensumstände im Lager lassen sich anhand der Zeugenaussagen der Überlebenden, die anlässlich der Prozesse gegen die Lagerleitung 1947 aufgenommen wurden, rekonstruieren. So schilderte der ehemalige französische Häftling und Geistliche Marcel Magonnet detailliert den Tagesablauf im Lager:
Das ganze Leben spielte sich im Freien ab: um 4 Uhr morgens kommt man aus den Baracken heraus, wohin man erst um 22 Uhr 30 oder 23 Uhr eintritt. Gleich nach dem Aufstehen ist man draußen in Reihen angetreten, um den Kaffee in Emailschüsseln zu erhalten, wo ihn einer nach den anderen trinkt, und ein Stück Brot von etwa 100 gr.
Bis zu 7 Uhr steht man auf der Stelle, wo man nach dem Willen der diensttuenden SS „exerciert“, welches besonders besteht aus: Laufen, Hinlegen im Schnee, mehrfaches Ziehen begleitet von Fußtritten, Auf- und Abnehmen der Kopfbedeckung, bis 53 mal hintereinander, und das in einem sehr schnellen Tempo.
Von 7 Uhr bis Mittag gibt es Arbeit, man zieht aus dem Lager in Abteilungen von Posten begleitet und verrichtet Erdarbeiten. Um 12 Uhr wird draußen eine Suppe in Emailschüsseln genommen, einer nach dem anderen, ohne Löffel, und 100 gr. Brot. Nach einer halben Stunde Pause wird die Arbeit wieder aufgenommen bis 18 Uhr […] und man kehrt um 19 Uhr ins Lager zurück, wo man draußen stehen bleibt bis 22 Uhr 30, nachdem man die Suppe in derselben Weise wie zu Mittag eingenommen hat. (zitiert nach Prinz, S. 257)
Häftlinge waren jederzeit der Willkür des Wachpersonals ausgeliefert, wie ein prominenter Häftling, der Journalist, Fernseh- und Radiomoderator Günther Schifter in seiner Vernehmung berichtete. Schifter war schon zweimal mit der Gestapo in Kontakt gekommen, als er wegen des Hörens eines Feindsenders – der BBC – einvernommen wurde. Im Dezember 1944 besuchte er die illegale Veranstaltung einer Wiener Tanzschule, bei der amerikanische Musik gespielt wurde. Die Gestapo löste die Party auf und verhaftete mehr als 30 Personen, darunter Günther Schifter und Helmut Qualtinger. Wegen des Vergehens gegen das Tanzverbots wurde er mit den anderen nach Oberlanzendorf gebracht. In seiner Zeugenaussage am 13. März 1947 schilderte er das Verhalten der Wachen im Umgang mit den Häftlingen:
In dem Hauptsaal dieses Aufnahmetraktes befanden sich auch sogenannte serbische Partisanen. […] Ich konnte wahrnehmen, dass diese Häftlinge am schlechtesten von allen behandelt wurde. Es waren Tage in denen diese nichts zu Essen bekamen. Der Besch. Milanowitsch (= Adam Milanovicz) und andere Wachen haben sie schwer misshandelt. Wenn sie z. B. zu langsam gegangen sind wurden sie misshandelt und als sie ein ander mal rohe Rüben von einer Aussenarbeit mitbrachten, wurden sie von der diensthabenden Wache, darunter auch Milanowitsch mit Prügeln derart geschlagen, dass sie nicht mehr aufstehen konnten. […] Gleich nach meiner Einweisung in das Lager konnte ich aus meinem Fenster bemerken, wie ein Teil der Schutzhäftlinge auf den Appellplatz Aufstellung nehmen mussten und auf die ausgestreckten Hände je 25 Hiebe mit dem Prügel bekamen. Ich habe die Schläge mitgezählt. Dann mussten sie die Schuhe ausziehen und bekamen ebenfalls 20 Hiebe auf die Fusssohlen. Vorher wurden sie noch stundenlang um den Appelplatz herumgejagt. Weshalb diese so misshandelt wurden, ist mir nicht bekannt. Ich vermute aus irgend einem lächerlichen Grund, wie es stets üblich war. […] Diese Art von Strafen war etwas so alltägliches im Lager, dass sich niemand gestossen hat daran. Ich selbst habe mich daran so gewöhnt, dass ich dem keine Aufmerksamkeit schenkte.
(Originaldokument: https://www.doew.at/cms/download/76sv4/22994_7_aussage_schifter.pdf)
Ähnliches lässt sich der Zeugenaussage von Georg Graf Apponyi, aufgenommen am 9. Mai 1947, entnehmen. Graf Apponyi war im Zuge der Säuberungsaktionen in Budapest im März 1944 festgesetzt und nach Oberlanzendorf deportiert worden. Im Gegensatz zu Häftlingen, die aufgrund ihres „asozialen“ Verhaltens inhaftiert waren, wurde diese Gruppe von politischen Gefangenen kaum misshandelt und musste auch keinen Arbeitsdienst leisten. Er berichtete über die Behandlung der Inhaftierten:
Nachdem die Häftlinge erschöpft von der Arbeit gegen 6 Uhr Abends zurückkehrten, musste(n) sie ungefähr zwei Stunden warten auf die Verteilung der sogenannten Suppe. Während der Zeit wurden täglich eine kleine Zahl 5 bis 20 Mann namentlich aufgerufen und erlitten dort öffentlich Körperstrafen, die in Peitschenhieben zwischen 5 und Hundert wechselten. Einmal während des Morgenspazierganges hatte ich Gelegenheit, die Peitsche, die dort liegen geblieben war in die Hand zu nehmen und zu überprüfen. Sie bestand aus einer in Leder eingenähte Kette, die an einem Holzstiel angebracht war. Nach ungefähr 10 Peitschenhieben wurde der Geschlagene schon ohnmächtig. Dessen ungeachtet wurden die Schläge fortgesetzt. Die Prügelstrafen wurden meistens durch einen SS Mann verabreicht, oft wurde aber ein Häftling dazu bestimmt, der seinen Kameraden schlagen musste und wenn dieser nicht fest genug einschlug, selber eine Prügelstrafe zu erleiden hatte.
(Originaldokument: https://www.doew.at/cms/download/32cd6/22994_8_aussage_apponyi-1.pdf)
Mit dem Näherrücken der Front in den Märztagen des Jahres 1945 verschärften sich die Zustände im Lager weiter; es kam zu Erschießungen, wie der Zeuge Karl Roubal, ein Landwirt, der wegen politischer Äußerungen noch in der Karwoche 1945 in Oberlanzendorf eingewiesen wurde, berichtete:
Da das Lager überfüllt war, mussten wir drausen bleiben. Wir alle, es waren ungefähr 72 Mann, standen vor einer Barake mit der Aufschrift Schnellverfahren. Ich konnte bemerken, dass alle 10 Min. ab 3 Uhr nachmittag (es war am Donnerstag, Freitag und Samstag) ein Mann hineingerufen wurde, dann von dort in ein einzelstehendes Gebäude (Wachgebäude) von einem Unterscharführer und einem SS Mann gebracht wurde […] und ich hörte einen Knall, wie aus einer kleinen Pistole aus dem Wachgebäude. Der Unterscharführer kam dann heraus und holte einen Sanitäter, der eine Papierschnur in der Hand hatte. Nach einer viertel Stunde kam der Sanitäter mit einem Kleiderbündel hinaus und ging in das Magazin. Ich konnte wiederholt bemerken, dass in dem Bündel die Kleider des in das Gebäude hineingeführten Häftlings waren. […] und konnte ich sehen wie der Leichenwagen der Stadt Wien mehrmals am Abend bis an das Ende des Lagers fuhr, dort irgend etwas aufladete und wegfuhr. Nachdem der Leichenwagen seine letzte Fahrt gemacht hatte, konnten wir abtreten […].
(Originaldokument: https://www.doew.at/cms/download/124c6/22994_6_aussage_roubal.pdf)
Bereits im Herbst 1944 legte man Richtlinien für die Auflösung der Arbeitserziehungslager im Fall des Näherrückens der Front fest: Alle weiblichen Häftlinge und alle männlichen deutschen Arbeitserziehungshäftlinge sollten entlassen, ausländische Arbeitserziehungshäftlinge dagegen nach Westen verlegt werden. Alle ausländischen Schutzhäftlinge, als schwer belastete Elemente bzw. Raubmörder bezeichnet, waren in das Konzentrationslager Mauthausen zu überstellen. Von dieser Anweisung waren schließlich auch die im Lager untergebrachten politischen Schutzhäftlinge betroffen. Diese Gruppe umfasste Ende März ca. 400 Schutzhäftlinge, darunter 40 bis 60 rumänische Offiziere, ca. 150 ungarische Juden und 10 bis 14 politische Schutzhäftlinge.
Am Ostersonntag öffneten sich die Tore für die „deutschen“ Arbeitserziehungshäftlinge, die den Weg in ihre Heimat antreten durften. Da es weder Eisenbahnwaggons noch Donauschiffe für den Transport nach Mauthausen gab, wurden die rund 400 Gefangenen auf einen 17 tägigen Todesmarsch nach Mauthausen geschickt. 40 bis 50 Häftlinge starben unterwegs an Erschöpfung oder wurden von der SS-Wachmannschaft erschossen. Überlebende schilderten in ihren Aussagen vor dem Volksgerichtshof die unmenschliche Behandlung, der sie ausgesetzt waren; die Volksstimme lieferte in ihrem Bericht zur Verhandlung gegen Adam Milanowitz eine Zusammenfassung dieser Aussagen:
Während des grauenhaften Todesmarsches aber wurde […] Milanowitz wegen seiner Mordtaten von den Häftlingen allgemein nur „der Hinrichter“ und „der Tod“ genannt. […]
Die unglücklichen und vor Hunger ausgemergelten Häftlinge wurden vor Wagen gespannt, auf die das Gepäck der Bewachungsmannschaft aufgeladen wurde und auf denen auch deren Familienangehörige saßen. Diese Wagen mußten von den Häftlingen, die sich vor Erschöpfung kaum selbst dahinschleppen konnten, gezogen werden. […] Während der Transportführer Künzel mit seiner Geliebten, einer Gräfin, in einem Landauer an der Spitze des Zuges fuhr, krachten an seinem Ende die Genickschüsse und verhallten die Todesschreie. Denn hinter den Häftlingen marschierte „der Tod“ – SS-Scharführer Milanowitz und sein mit Maschinenpistolen und Schaufeln und Krampen ausgerüstetes „Erschießungskommando“, das jeden, der vor Entkräftung zurückblieb, mitleidlos „liquidierte“. […]
Von Tulln an rissen die „Liquidierungen“ und „Erschießungen auf der Flucht“ nicht mehr ab. In den Stadeln, in denen die Häftlinge untergebracht wurden, sofern sie nicht im Freien übernachten mußten, und auf den Landstraßen lagen die Leichen der Häftlinge herum. […]
(Volksstimme, Ausgabe vom 14. Mai 1952, zitiert nach Arnberger 1987)
Weder läßt sich die genaue Zahl der in Oberlanzendorf im Zeitraum 1941 bis 1945 Inhaftierten aufgrund fehlender Quellen eruieren, noch die Zahl derer, die hier den Tod fanden. In den Sterbebüchern des Standesamtes Schwechat sind 328 Tote verzeichnet. Als Todesursachen sind Phlegmone (bakterielle Infektion einer Wunde), Herzschwäche, Unterernährung und Entkräftung angeführt.
Nach mehrjährigen Voruntersuchungen wurde ab Juni 1950 den beiden letzten Lagerleitern – Karl Künzel, der den Transport nach Mauthausen leitete, und Karl Schmidt – der Prozess gemacht. Karl Künzel wurde der illegalen NS-Mitgliedschaft, der Quälerei und Misshandlung sowie der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegenüber der Menschlichkeit angeklagt, Karl Schmidt u.a. der Quälerei und Misshandlung. Am 26. Juni 1950 erfolgte die Urteilsverkündung: Künzel wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, Schmidt zu 12 Jahren. Adam Milanovicz (= Milanowitsch) – der Bluthund von Oberlanzendorf – tauchte unter und konnte sich bis zum 3. März 1950 der Verhaftung entziehen. 1952 wurde er wegen Quälerei und Misshandlung sowie wegen Vergehen gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Im Zuge der Weihnachtsamnestie des Bundespräsidenten wurde 1954 Karl Schmidt bedingt aus der Haft entlassen, Karl Künzel wurde 1955 begnadigt und bedingt entlassen, Adam Milanovicz ein Jahr später.
Autorin: Prof.in Dr.in Elisabeth Vavra
Verwendete und weiterführende Literatur:
Heinz Arnberger, Das Arbeitserziehungslager Oberlanzendorf, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934–1945. Eine Dokumentation, Wien 1987, Band 2, S, 573–586.
Josef Prinz, „Erziehung zur Arbeit – Arbeit durch Erziehung?“ Ein Beitrag zur Geschichte des Arbeitserziehungslagers Oberlanzendorf bei Wien 1940–1945, in: Willibald Rosner – Reinelde Motz-Linhart (Hgg.), Forschungen zur NS-Zeit in Niederösterreich 1938–1945 (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 43), St. Pölten 2007, S. 183–312.
Klaus Schuster (Hg.), Chronik des heutigen Caritasheimes Marie Frieden in Lanzendorf, Lanzendorf 1996.
Links:
https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Arbeitserziehungslager_(AEL)_Oberlanzendorf