Vom Wildtier zum Haustier

Künstliche Zuchtwahl statt natürlicher Auslese
Die Umwandlung von Wildtieren in Haustiere (passend zur Ausstellung "MuH – Mensch und Haustier") bezeichnet man als Domestikation (von lat. domesticare = in das Haus bringen). In der Geschichte des Menschen war die Domestikation ein überaus bedeutender Schritt. Denn zusammen mit dem Ackerbau bildete die Zucht von Haus- bzw. Nutztieren die Basis der produzierenden Wirtschaftsweise. Mit Ausnahme von Australien haben alle Kontinente ihre eigenen Haustiere hervorgebracht. Doch die am weitesten verbreiteten Haustiere stammen allesamt aus dem eurasiatischen Raum. Nicht alle Tiere eigneten sich gleichermaßen für die Domestikation. Etwas mehr als 30 Säugetier- und Vogelarten bilden heute die Kerngruppe der Haustiere. Zu den wichtigsten, die man in beinahe allen Regionen der Welt finden kann, zählen neben Hunden und Katzen insgesamt vier Gruppen: Rinder, Schafe, Schweine und Hühner. Der Mensch veränderte seine Tiere gemäß seinen Vorstellungen und Vorlieben – und zwar indem er gezielt Individuen für die Zucht auswählte. Dieser Ersatz der natürlichen Selektion durch die künstliche ist das wesentliche Merkmal der Domestikation. In vielen Fällen konnte die Nutzbarkeit durch züchterische Auslese über Generationen hinweg enorm erhöht werden.

Kurzer Schädel, kleines Gehirn
Nutztiere unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von ihren wildlebenden Stammformen – und zwar nicht nur in Körperbau, sondern auch in Physiologie, Leistung und Verhalten. Denn für den Menschen nützliche Eigenschaften wurden durch geeignete Zuchtwahl über Generationen hinweg verstärkt. Andere, aus Sicht des Menschen unerwünschte Merkmale wurden durch züchterische Maßnahmen eliminiert. Bei vielen Haustieren kam es so zu einer auffälligen Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes: So können zum Beispiel Größe, Färbung, Behaarung oder Befiederung stark von der Wildform abweichen. Oft ist auch der Schädel verkürzt und Gebiss oder Hörner sind reduziert. Bei vielen Haustieren lässt sich außerdem ein Rückgang des Gehirngewichts feststellen. Damit gehen teils massive Verhaltensänderungen einher – wie etwa eine Abnahme der Aggressivität oder eine geringere motorische Aktivität. Zudem sind Flucht- und Verteidigungsverhalten häufig weniger gut entwickelt, und auch das Brutpflegeverhalten kann deutlich schwächer ausgeprägt sein. Zu den physiologischen Veränderungen gehören unter anderem eine erhöhte Fruchtbarkeit, eine früher einsetzende Geschlechtsreife und ein besonders rasches Wachstum. Da sich Zuchtziele regional unterschieden, entwickelte sich im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von verschiedenen Haustierrassen. Diese sind oft besonders gut an die lokal vorherrschenden Bedingungen bzw. an die jeweiligen Bedürfnisse des Menschen angepasst.

Der beste Freund des Menschen
Er gilt nicht nur als der treueste Freund des Menschen, er ist auch das älteste aller Haustiere: der Hund. Seit der Jungsteinzeit dient der Hund dem Menschen als Begleiter und Beschützer, als Wächter und Jagdhelfer. Allerdings war es nicht der Mensch, der in dieser Partnerschaft den ersten Schritt tat. Es war vielmehr der Wolf, der sich in die Nähe menschlicher Siedlungen wagte – wo er sich vermutlich an den Abfällen gütlich tat. Dies geschah irgendwann während der letzten Eiszeit, vor mehr als 14.000 Jahren. Allerdings ist es nach wie vor schwierig, einen genauen Zeitpunkt anzugeben. Denn zu Beginn der Domestikation war die Ähnlichkeit zwischen Wolf und Hund noch sehr groß. Im Laufe der Zeit jedoch kam es durch gezielte Zuchtwahl zu tiefgreifenden Veränderungen in Körperbau, Stoffwechsel und Verhalten: Der Hund wurde kleiner; vor allem die Schädelgröße verringerte sich überproportional. Auch die Größe des Gehirns nahm um rund ein Drittel ab! Das Leben als „Aasfresser“ ließ nicht nur das Gebiss der Tiere weniger kräftig werden. Es führte außerdem dazu, dass Hunde deutlich besser mit stärkereicher Kost zurecht kommen als Wölfe – was es ihnen ungleich leichter machte, von menschlichen Essensresten satt zu werden. Hunde sind dem Menschen gegenüber außerdem deutlich weniger aggressiv. Auch werden sie sozusagen nie ganz erwachsen. Sie behalten typische Welpen-Eigenschaften ein Leben lang bei, sind zutraulich und verspielt.

Für den Menschen spielen Hunde nach wie vor eine wichtige Rolle – wenn auch ihre Funktion als Jagdhelfer immer mehr in den Hintergrund rückt. Geschätzte 400 Millionen Hunde gibt es heute auf der Welt! Die mehr als 800 Rassen – vom winzigen Chihuahua bis hin zum Irischen Wolfshund – unterscheiden sich stark voneinander. (Bei keinem anderen Landwirbeltier gibt es übrigens derartige Unterschiede in der Körpergröße!). Und viele von ihnen zeigen auf den ersten Blick kaum mehr Ähnlichkeit mit ihrer Stammform, dem Wolf.

Vom Mäusejäger zum Stubentiger
Die Katze zählt zweifellos zu den beliebtesten Haustieren. Sie kommt in nahezu allen Gebieten der Welt vor, die vom Menschen besiedelt werden, und gilt als sogenannter Kulturfolger. Archäologische Funde auf Zypern zeigen, dass die Katze schon vor etwa 9.000 Jahren domestiziert wurde. Die Initiative ging auch in diesem Fall nicht vom Menschen, sondern vom Tier aus: Katzen schlossen sich aus freien Stücken dem Menschen an. Denn in der Nähe menschlicher Siedlungen fanden sie ausreichend Nahrung in Form von Mäusen und Ratten. Der Mensch wiederum war von der Anwesenheit der Katze wohl rasch begeistert – hielten die geschickten Räuber doch Schädlinge von seinen Vorräten fern. So wurden Katzen zunächst geduldet, später wohl auch durch Futtergaben explizit zum Bleiben ermutigt. Der Mensch wählte für die Zucht dann gezielt Tiere aus, die nur wenig Angst zeigten. Und dies führte im Laufe der Zeit dazu, dass die Katzen ihre Scheu vor dem Menschen verloren. Dennoch ist die Katze ihrer wilden Stammform nach wie vor recht ähnlich. Bei dieser handelt es sich übrigens nicht um die europäische Wildkatze, sondern um die Falbkatze (oder Afrikanische Wildkatze), die in Nordafrika beheimatet ist. Seeleute brachten domestizierte Katzen nach Europa, wo die Tiere mit der Zeit das Frettchen – eine Zuchtform des Iltis – als Haustier verdrängten. Heute werden weltweit schätzungsweise rund 200 Millionen Katzen gehalten. Dazu kommt eine große Zahl von freilebenden Tieren. (In Österreich etwa leben in jedem vierten Haushalt eine oder mehrere Katzen. Das sind insgesamt 1,3 Millionen Exemplare!) Die über 50 Katzenrassen unterscheiden sich in Aussehen und zum Teil auch in Verhalten voneinander. Dennoch wurden Katzen durch züchterische Maßnahmen weniger stark verändert als Hunde. Sie sind sozusagen nur „halb domestiziert“ und bei weitem nicht so zahm. Auch ihr Erbgut unterscheidet sich nicht so stark von dem ihrer wilden Stammform. Veränderungen ließen sich vor allem bei jenen Genen nachweisen, die für Angst, für das Gedächtnis sowie für das Belohnungssystem zuständig sind.

Borstenvieh und Schweinespeck
Das Schwein gehört zusammen mit Rind, Schaf und Ziege zu den ältesten Nutztieren des Menschen. Seit mehr als 10.000 Jahren hält der Mensch schon Schweine. Wie genetische Untersuchungen zeigten, erfolgte die Domestizierung allerdings in mehreren Regionen Eurasiens unabhängig voneinander. Bereits um 5.000 v. Chr. gab es Schweinehaltung auch in Mitteleuropa. Wildschweine traten vermutlich als Nahrungskonkurrent des Menschen auf, der von den Tieren wenig begeistert gewesen sein dürfte. Die Widersacher wurden zunächst wohl vertrieben, später dann einfach eingesperrt. Die Tiere waren leicht zu halten und als Allesfresser auch mit Abfällen zufrieden. Außer auf eingezäunten Flächen in Siedlungen wurden Schweine auch in frei laufenden Herden in der Nähe von Wäldern gehalten, wo sie sich von Eicheln, Kastanien, Bucheckern, Nüssen, Pilzen und Wildfrüchten ernährten.

Durch züchterische Auslese veränderte der Mensch nach und nach Aussehen, Leistung und Verhalten der Tiere. Man legte Wert auf hohe Fruchtbarkeit, rasches Wachstum und natürlich auf eine gute Mastleistung und Fleischqualität. Im Vergleich zum Wildschwein ist der Körper des Hausschweins daher plumper und seine Speckschicht ist dicker. Die Behaarung ist deutlich weniger dicht. Der Schädel des Hausschweins ist kleiner, die Schnauze kürzer und das Gebiss ist schwächer. Auch das Hirnvolumen nahm im Laufe der Zeit um knapp ein Drittel ab. Dennoch gelten Schweine als ausgesprochen intelligent. Ihre kognitiven Fähigkeiten sind durchaus mit denen mancher Primaten vergleichbar!

Aus diesem Grund waren sie lange Zeit viel mehr als nur Fleischlieferanten: In der Antike halfen sie als Saateintreter bei der Aussaat ebenso wie als „Erntehelfer“ beim Einbringen der Feldfrüchte. Und während des Mittelalters bildeten die Bauern Schweine sogar für die Jagd aus, da es nur Adeligen erlaubt war, Hunde zu halten.

Die gezielte Züchtung von Schweinerassen hat ihren Ursprung im 18. Jahrhundert. Heute gibt es weltweit mehr als 700 verschiedene Schweinerassen. Allerdings haben sich die Zuchtziele im Laufe der Zeit stark verändert, so dass mittlerweile ein großer Teil der alten Schweinerassen vom Aussterben bedroht ist. Denn während früher vor allem sehr fette Rassen geschätzt wurden, legt man heute Wert auf mageres Fleisch. Der Körper der Schweine wurde länger und schlanker; und viele Rassen besitzen außerdem ein zusätzliches Rippenpaar. 

Text: Dr. Andrea Benedetter-Herramhof

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