Die letzten Tage: Ostern 1945

© NÖ Museum Betriebs GmbH, Foto: Gerald Lechner

Kriegsschauplatz NÖ 6 / 10

Es war ein Frühling, wie man sich ihn immer erträumt. Der März 1945 war frühsommerlich warm, 

Am 13. Februar 1945 nach wochenlanger Belagerung durch die russische Armee war Budapest gefallen. Die 2. und 3. Ukrainische Front bewegte sich nun gegen Westen. In einer Zangenbewegung sollte Wien angegriffen werden: Die 2. Ukr. Front marschierte Richtung March, die 3. Ukr. Front Richtung Burgenland, um dann von dort durch das Wiener Becken von Süden gegen Wien vorzudringen. Zwischen Schachendorf und Rechnitz überschritten die ersten Rotarmisten am 28. März die österreichische Grenze. Es war der Mittwoch in der Karwoche.
Die Bäume standen in voller Blüte. Der Optimismus, den die Natur ausstrahlte, stand im krassen Gegensatz zur Stimmung der Menschen. Seit fünfeinhalb Jahren tobte nun schon der Krieg und wollte noch immer kein Ende nehmen. Nun näherte er sich bedrohlich den Grenzen Niederösterreichs. Man meinte fast, in der Ferne bereits Gefechtslärm zu hören. Zwar tönten aus dem Volksempfänger noch immer propagandistische Durchhalteparolen, aber auch Österreich – der „Luftschutzkeller des Reiches" – war seit 13. August 1943 „Heimatkriegsgebiet". An diesem Tag hatte die US-Airforce erste Angriffe gegen Österreich. geflogen. Seit der Stationierung der 15. Luftflotte in Foggia war Österreich für die Bomber erreichbar geworden. Ziel des ersten Angriffs waren die Rüstungsbetriebe in Wiener Neustadt. Die Angriffe kamen überraschend – die Flugabwehr wurde gerade erst aufgebaut. Der Schaden war nicht groß, die Zahl der Opfer indes schon: Es gab 185 Tote, 150 Schwer- und 700 Leichtverletzte.

Gründonnerstag, 29. März 1945

Die ungarische Regierung hatte sich nach ihrer Flucht aus Budapest zunächst in Kőszeg (kroat. Kiseg, dt. Güns) aufgehalten, ca. 2 km von der österreichischen Grenze entfernt. Als die Front unaufhaltsam näher kam, floh sie weiter Richtung Westen. Zum Schutz der Stadt hatte man das Volkssturmbataillon Lilienfeld herbeigeholt – 350 Mann trafen ein, ohne Waffen – 59 Mann konnte der Stadtkommandant bewaffnen, die anderen schickte er wieder heim. Sie blieben, waren aber ohne Chancen. Um 11 Uhr 05 rollten sowjetische Panzer bei Kloster Marienberg über die Grenze. Ihr Ziel war das Wiener Becken. Bis 17 Uhr waren sie kampflos bis in das Gebiet von Mannersdorf an der Rabnitz vorgedrungen. Gegen Abend drangen erste Aufklärungspanzer bis Lembach bei Kirchschlag in der Buckligen Welt vor. In der Nacht ratterten zwischen Kőszeg und Oberpullendorf ununterbrochen sowjetische Panzer und Laster mit Nachschub Richtung Niederösterreich.

Karfreitag, 30. März 1945

Sowjetische Panzer- und Schützenverbände drangen weiter in das Oberpullendorfer Becken vor. Der Widerstand der zahlenmäßig weit unterlegenen Einheiten der Deutschen Wehrmacht hatte ihnen nur wenig entgegenzusetzen. Kurzzeitig gelang es Lockenhaus zu verteidigen; um 17 Uhr entfernten einmarschierende Rotarmisten aber bereits die Symbole der NS-Herrschaft. Wiener Neustädter „Kriegsschüler" wurde zur Verteidigung der Linie Wiesmath – Zöbern – Krumbach – Ponholz eingesetzt. Sie sollten den Zugang nach Aspang Markt sowie nach Grimmenstein sperren. Abends setzte Gefechtstätigkeit ein. Bis zum Anbruch der Nacht war nahezu der gesamte Bezirk Oberpullendorf in sowjetischer Hand.

Karsamstag, 31. März 1945

Während der gesamten Nacht hatten die Kämpfe angedauert. Sowjetische Artillerie beschoss Wiesmath. Die Kriegsschüler, die die Gegend dort verteidigt hatten, mussten sich zurückziehen. Um 13 Uhr 15 erreichte ein sowjetischer Vorstoß Krumbach; dann zogen sie weiter die Bundesstraße 55 entlang; auf leichten Widerstand stießen sie nur in Thomasberg und Edlitz. Dann fiel Grimmenstein. Bis zum Abend war das Pittental von Scheiblingkirchen bis Grimmenstein in sowjetischer Hand.
Der Einbruch und das Vordringen der sowjetischen Armee fand im Wehrmachtsbericht aus Berlin keine Erwähnung. Auch der „Völkische Beobachter" schwieg: Nur eine kleine Notiz erinnerte an das Sirenensignal bei Feindalarm: „Das Signal ‚Feindalarm‘ besteht aus einem fünf Minuten langen, an- und abschwellenden Heulton; während die Sirenen bei ‚Fliegeralarm‘ etwa 15mal auf- und abschwellen, heulen sie bei ‚Feindalarm‘ 75mal."

Ostersonntag, 1. April 1945

Einblick in die Ausstellung Kriegsschauplatz NÖ,
Foto: Lechner (c) Landesmuseum Niederösterreich
Das Pittental war nachts von Bränden taghell erleuchtet, aber es waren diesmal nicht die Freudenfeuer der Osternacht. Weitere sowjetische Panzerkolonnen drangen kampflos nach Aspang, Feistritz und Kirchberg am Wechsel vor. Mittags standen Panzer vor Gloggnitz; es kam zu Schießereien und Bränden. Aus einem Luftschutzbunker holten die Sowjets Dr. Karl Renner. Panzereinheiten fuhren weiter nach Süden Richtung Semmering und trafen dort auf Widerstand. Östlich des Rosaliengebirges stießen weitere sowjetische Panzereinheiten vor – ihr Ziel war das Wiener Becken, um von Süden Wien anzugreifen. Um 14 Uhr fiel Pöttelsdorf.
Am Abend des 1. Aprils war das Steinfeld fest in sowjetischer Hand. Unterstützt wurden die Bodentruppen durch die US-Bombengeschwader. Sie flogen am Ostersonntag schwere Angriffe gegen Ziele in Niederösterreich, um weitere Teile der Verkehrsinfrastruktur zu zerstören: In St. Pölten warf die 15th US Air Force 76,25 Tonnen Bomben auf den Bahnhof und den Frachtenbahnhof ab. Zum ersten Mal meldete der Wehrmachtsbericht: „Südlich Steinamanger stehen unsere Truppen in schwerem Abwehrkampf gegen die zur Reichsgrenze vordringenden Bolschewisten. Eingreifverbände brachten den Feind, der durch eine Frontlücke bei Güns nach Nordwesten vorstieß, im Raum Wiener Neustadt zum Stehen …"
Der sowjetische Marschall Tolbuchin, der Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen Front, erhielt am Abend des Ostersonntags folgenden Befehl: „… mit 4. und 9. Gardearmee sowie 6. Garde-Panzerarmee den Angriff Richtung Wien weiter zu führen und längstens bis 12./15. April den Raum Tulln – St. Pölten – Lilienfeld zu erreichen …"

Ostermontag, 2. April 1945

Fliegerbombe beim Eingang zur Ausstellung Kriegsschauplatz NÖ,
Foto: Lechner (c) Landesmuseum Niederösterreich
Das Wetter zeigte sich weiter von seiner schönsten frühlingshaften Seite – aber wohl keiner nahm dies zur Kenntnis. Schon morgens hatten sowjetische Bomber Angriffe auf Hainburg und Bruck an der Leitha geflogen. US-Bomberverbände griffen Wien, Baden und Krems an. Irrtümlich bombardierten sie auch Gloggnitz, das bereits in sowjetischer Hand war. Sowjetarmisten und Einheimische mussten gemeinsam die Luftschutzkeller aufsuchen. Währenddessen marschierten Bodentruppen Richtung Wien. Das leidgeprüfte Wiener Neustadt fiel kampflos. Seit dem 13. August 1943 hatte die Stadt 29 schwere Luftangriffe erlebt. 55.000 Bomben waren gefallen – nur 19 Gebäude waren unbeschädigt geblieben. Die deutschen Verteidiger zogen sich Richtung Wien zur Verteidigung der Gauhauptstadt zurück. Nachhutkämpfe gab es im gesamten Wiener Becken, die schwersten in Bad Fischau, Eggendorf und Lichtenwörth. Vor der Hohen Wand entstand die neue deutsche Front: Zwei deutsche Panzerdivisionen lieferten im Raum Felixdorf – Sollenau – Steinabrückl – Theresienfeld der vorrückenden Sowjetarmee eine mehrstündige Panzerschlacht.Während das sowjetische Oberkommando Weisungen für Aufklärung und Propaganda gab, wurde in Wien zum Endkampf aufgerufen. Plakate riefen zum Widerstand auf: „Kapitulation niemals! Wien ist zum Verteidigungsbereich erklärt worden. Frauen und Kindern wird empfohlen, die Stadt zu verlassen.“ 


Dienstag, 3. April 1945

Das Wetter war weiter frühsommerlich warm. Gegen Nachmittag zogen leichte Regenschauer auf.
Die 15. Luftflotte der US-Army flog von Foggia aus weiter ihre Angriffe gegen Ziele in Österreich. In Niederösterreich waren es Bad Vöslau, Schwechat, St. Pölten und Krems.
Aus Wien begann die große Flucht. Durch die 53 Bombenangriffe der letzten Jahre war die Stadt schwer in Mitleidenschaft gezogen: 46.000 Wohnungen waren total zerstört, 150.000 beschädigt. 270.000 Wienerinnen und Wiener waren obdachlos. Sepp Dietrich, der Befehlshaber der 6. SS-Panzerarmee, die Wien verteidigen sollte, rief die Bevölkerung zum Widerstand auf: „[…] Halten wir zusammen, kämpfen wir zusammen! Es geht nicht um uns, es geht nicht um die Partei, es geht um unser Land […]." Nur Frauen und Kindern war das Verlassen der Stadt gestattet.
Am Dienstag stockte der Vormarsch der Sowjets: Grund hierfür war eine falsche Einschätzung der Verteidigungsstärke Wiens: Tolbuchin lagen unrichtige Berichte über die in Wien getroffenen Verteidigungsmaßnahmen und die Stärke der dort angeblich liegenden Truppen vor.
Luftschutzverbandskasten aus der Ausstellung
Kriegsschauplatz NÖ, Foto: Lechner
(c) Landesmuseum Niederösterreich

Am Morgen des 3. Aprils drangen sowjetische Truppen bis Oeynhausen und Tattendorf vor. Baden, Bad Vöslau und Sooß fielen kampflos. Immer wieder flammten schwache Rückzugsgefechte auf, etwa bei Gainfarn, Tribuswinkel, Leobersdorf, Traiskirchen. Überall gab es Opfer unter der Zivilbevölkerung, in Pfaffstätten etwa fanden 18 Menschen den Tod, in Leobersdorf 13. Zahlreiche Häuser und Fabrikgebäude wurden in Brand gesetzt, nahezu alle Brücken im umkämpften Gebiet gesprengt.
Der abends erlassene Wehrmachtsbericht sprach von erfolgreichen Abwehrkämpfen. Und „Reichsführer SS" Heinrich Himmler erließ einen „Flaggenbefehl": „Im jetzigen Zeitpunkt des Krieges kommt es einzig und allein auf den sturen, unnachgiebigen Willen zum Durchhalten an. Gegen Heraushängen weißer Tücher, Öffnen bereits geschlossener Panzersperren, Nichtantreten zum Volkssturm und ähnliche Erscheinungen ist mit härtesten Maßnahmen durchzugreifen. Aus einem Haus, aus dem eine weiße Fahne erscheint, sind alle männlichen Personen zu erschießen. Es darf bei diesen Maßnahmen keinen Augenblick gezögert werden."

Text: Dr. Elisabeth Vavra, Kuratorin und Wissenschaftliche Leiterin Geschichte
Verwendete Literatur: Theo Rossiwall, Die letzten Tage. Die militärische Besetzung Österreichs 1945, Wien 1969.

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