Lebensraum Wiese

© NÖ Museum Betriebs GmbH, Foto: Claudia Hauer

Die Bewirtschaftung von Grünland hat in Österreich traditionell eine große Bedeutung: Wiesen und Weiden machen zusammen mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus. Vor allem in den höher gelegenen Gebieten ist Grünlandbewirtschaftung der vorherrschende Sektor in der Landwirtschaft. Für eine große Zahl von Tieren und Pflanzen sind diese Wiesen wertvolle Lebensräume.

Artenreichtum zwischen Stängeln und Blättern

Eine Wiese ist eine Lebensgemeinschaft aus krautigen, meist niederwüchsigen Pflanzen. Die vorherrschende Pflanzengruppe – und zwar sowohl was ihre Masse als auch die Individuenzahl betrifft – sind die Gräser. Sie sind in den einzelnen Wiesentypen oft so vorherrschend, dass diese nach ihnen benannt sind, wie zum Beispiel die Trespen-Wiese, die Glatthafer-Wiese oder die Pfeifengras-Wiese. Die Bandbreite ihrer Wuchsformen ist beachtlich: So können Gräser hoch- oder niederwüchsig sein, sie können dicht aneinandergedrängt in sogenannten Horsten wachsen, lockere Anhäufungen bilden oder aber den Boden mehr oder weniger gleichmäßig bedecken. Dabei breiten sie sich entweder über oberirdische Ausläufer oder aber über unterirdische Sprosse aus und können auf diese Weise rasch neue Flächen besiedeln. Ergänzt werden die Gräser von einer beeindruckenden Vielfalt an unterschiedlichen Wiesenkräutern – meist mehrjährigen, sehr regenerationsfähigen Pflanzen, deren Blüten im Frühling und Sommer Massen von Insekten anlocken.
In einem der Insektarien mit Gräsern hat z.B. die Gratenkreuzspinne ihr Zuhause. 

Die „Stockwerke“ der Wiese

Zusammen schaffen die Gräser und Kräuter einer Wiese einen äußerst abwechslungsreichen Lebensraum, der einer großen Vielzahl von Wiesenbewohnern Nahrung und Unterschlupf bietet. Dieser ergibt sich aus dem Aufbau der Wiese in mehrere Schichten; diese „Stockwerke“ der Wiese unterscheiden sich hinsichtlich der Feuchtigkeit, der Lichtintensität, der Temperatur und der Windgeschwindigkeit stark voneinander:
Das unterste Stockwerk bildet die sogenannte Streuschicht. Sie befindet sich direkt über dem Boden und besteht überwiegend aus abgestorbenen Pflanzenteilen. Hier leben zahlreiche Tiere, die sich von der Streu ernähren und so zu ihrem Abbau beitragen, wie zum Beispiel Asseln, Tausendfüßer oder Schnecken. Aber auch Ameisen suchen den Wiesenboden nach Nahrung ab, und räuberische Laufkäfer und Spinnen gehen in der Streuschicht auf die Jagd. Wiesenbrütende Vögel, wie zum Beispiel Braunkehlchen, Wiesenpieper, Großer Brachvogel oder Heidelerche, errichten hier ihre Nester und ziehen ihre Jungen groß.
Auf die Streuschicht folgt die Krautschicht mit ihrem Dickicht aus Blättern und Stängeln.
Ihr breites Spektrum an ökologischen Nischen wird von einer Vielzahl von Wiesenbewohnern genutzt: Blattfressende Feld- und Laubheuschrecken etwa leben in der Krautschicht, zusammen mit Blattkäfern, Raupen, Spinnen, Blattläusen und Zikaden.
Einen Stock höher, in der sogenannten Blütenschicht, dominieren flugfähige Insekten, die sich von Pollen und Nektar ernähren, wie zum Beispiel Wildbienen, Hummeln, Schwebfliegen, Schmetterlinge, Bock- und Rosenkäfer. Zu den räuberischen Tieren der Blütenschicht zählen dagegen Wespen, Raubfliegen, Hornissen oder auch die perfekt getarnten Krabbenspinnen.

Unterschiedliche Arten von Wiesen und ihre zugehörigen Bewohner.

Ökosystem aus Menschenhand

Wiesen sind großteils keine natürlichen, sondern vom Menschen gemachte Lebensräume. Zu den natürlichen Wiesen Österreichs zählen lediglich die Wiesenbestände auf Waldlichtungen oder die alpinen Matten oberhalb der Baumgrenze. Alle anderen Grünlandflächen sind durch die landwirtschaftliche Nutzung ehemals bewaldeter Gebiete entstanden und in ihrem Fortbestand auf die Pflege durch den Menschen bzw. auf die Beweidung durch Nutztiere angewiesen. Ohne sie würden Wiesen und Weiden bald wieder unter einer geschlossenen Walddecke verschwinden. Allerdings kam es während der letzten Jahrzehnte zu einem tief greifenden strukturellen Wandel: Schwer zu bewirtschaftende, wenig ertragreiche Flächen werden häufig nicht mehr genutzt und fallen brach. Dagegen werden die Erträge in den Gunstlagen durch Intensivierung gesteigert. Beide Entwicklungstendenzen – Nutzungsaufgabe wie Intensivierung – führen gleichermaßen zum Verlust wertvoller, artenreicher Lebensräume.

Einschnitte ins Wiesenleben

Heureiter (auch Reuter genannt) werden
zum Trocknen von Gras verwendet.
Das Ökosystem Wiese ist von einer regelmäßigen Mahd abhängig. Für die Bewohner der Wiese ist dieses „einschneidende“ Ereignis keine Katastrophe, da sich ihre Entwicklung über viele Jahrhunderte an den Mahd-Rhythmus angepasst hat. Allerdings hat sich mit der Intensivierung der Landwirtschaft auch das Schnittregime geändert: Das moderne Hochleistungsgrünland wird nicht nur ungleich häufiger, sondern auch deutlich früher gemäht als die ehemals extensiv genutzten Wiesen. Dies geht auf Kosten der Vielfalt – vor allem, wenn der Schnitt viele Pflanzen noch vor ihrer Blüte- und Reifezeit trifft. Mit den Pflanzen gehen dann auch jene Tiere verloren, die sich von den Blüten oder Samen ernähren beziehungsweise sich in den Stängeln entwickeln. Um eine möglichst große Vielfalt zu fördern und zu erhalten, wäre in den meisten Fällen eine ein- bis zweimalige Mahd pro Jahr ideal. Für die tierischen Wiesenbewohner ist es zudem wichtig, dass nebeneinander liegende Wiesen nicht zum gleichen Zeitpunkt gemäht werden, um ihnen eine Flucht- und Ausweichmöglichkeit zu gewährleisten.

Grün-gelbe Artenarmut

Bis ins 19. Jahrhundert waren Mergel und Kalk die einzigen verfügbaren Quellen, die anorganische Nährstoffe lieferten. Erst seit dem Zweiten Weltkrieg kommen in den Industrieländern im großen Stil sogenannte „Kunstdünger“ zum Einsatz. Die Grünlandbestände Österreichs haben sich seither stärker verändert als all die Jahrtausende zuvor: Düngung bewirkt ein starkes Pflanzenwachstum. Dabei werden schnellwüchsige Arten gefördert, langsamwüchsige dagegen unterdrückt. Vor allem der Grasanteil nimmt zu. Die Wiesenkräuter verschwinden bis auf wenige stickstoffliebende Arten wie etwa Löwenzahn und Scharfer Hahnenfuss. Solch artenarme, uniforme Hochleistungswiesen sind heute die vorherrschenden Grünlandgesellschaften. Vielfältige, artenreiche Wiesen findet man dagegen nur noch in schwer zu bewirtschaftenden Ungunstlagen. Vor allem nährstoffarme Magerwiesen – die mit Abstand artenreichsten Biotope Österreichs – sind massiv in ihrem Bestand gefährdet.

Text: Dr. Andrea Benedetter-Herramhof
Fotos: © Landesmuseum Niederösterreich, Claudia Hauer

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