Hitler und das Musikleben um 1900

© NÖ Museum Betriebs GmbH, Plakatsujet


Ausstellungssujet "Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators. 1889-1914" (29. Februar 2020 - 24. Jänner 2021)

Zeitlebens hat sich Adolf Hitler weniger als Politiker denn als Künstler verstanden. Noch in den 1930er-Jahren sagte er: „Ich musste den ungeheuren und von schweren Kämpfen erfüllten Umweg machen, um über den Staatsmann mein Ziel als Künstler zu erreichen“, heißt es in den sogenannten Führermonologen. Dies schloss mit ein, dass er sein Dasein als das eines Genies empfand; als „Heros“, der von der Vorsehung zu Höherem bestimmt sei und der – gegen die Widrigkeiten einer von Unverständnis geprägten Umwelt kämpfend – erfolgreich den Weg seiner Bestimmung gehen werde. Vieles vom Selbstbild der verkannten Künstlerseele und des einsamen Kämpfers ist nachträgliche Selbstinszenierung, manches gründet wohl auf persönlichen Rückschlägen und Kränkungen – auch auf dem Gebiet der Kunst.

Tatsächlich hat sich Hitler schon früh mit verschiedenen Kunstformen befasst. Dabei spekulierte er immer wieder damit, in dieser oder jener Sparte später einmal beruflich reüssieren zu können, wozu es aber nicht kommen sollte. Zunächst scheiterte er bei seinem Versuch, Maler zu werden. Zweimal, 1907 und 1908, bewarb er sich um Aufnahme an der Akademie der bildenden Künste in Wien; beim ersten Mal wurde er abgelehnt, beim zweiten Versuch – diesmal mit der Absicht in die Architekturklasse einzutreten – erst gar nicht zur Prüfung zugelassen. Auf dem Gebiet der Architektur hatte Hitler schon länger, oft ins Größenwahnsinnige abdriftende, künstlerische Ambitionen gehegt. Er fertigte unzählige Skizzen und Entwürfe an und legte Pläne für repräsentative Bauprojekte, wie beispielsweise eine Neugestaltung des Linzer Landestheaters, vor. Jene Kunstgattung, die den jungen Hitler wohl unmittelbarer und intensiver berührte als jede andere, ist die Musik. Hitlers Kindheit und Jugend fallen in die Frühzeit der musikalischen Moderne, für die Wien eine maßgebliche Rolle spielte. Hugo Wolf und Gustav Mahler legten Versuche vor, die bisherigen Grenzen von Form und Tonalität zu überwinden; später sollten Arnold Schönberg und seine Schüler Anton Webern und Alban Berg dies mit der Hinwendung zur Atonalität, schließlich zu Schönbergs „Methode der Komposition mit 12 nur aufeinander bezogenen Tönen“ – als Zwölftontechnik bekannt – auf die Spitze treiben.

Von diesen musikalischen Innovationen dürfte Hitler wenig Notiz genommen haben. Während seiner Zeit in Linz schreiben die wichtigsten dortigen Tageszeitungen kaum ein Wort über die Entwicklungen in Wien. Anders verhält es sich mit der Musik und der Person Richard Wagners. Hitler kam bereits in seiner Linzer Zeit mit dem Werk Wagners in Berührung. Laut eigener Aussage hat Hitler am dortigen Landestheater im Alter von 12 Jahren Wagners Lohengrin gesehen. Sofort habe ihn die Musik des Bayreuther Komponisten in ihren Bann gezogen.

Richard Wagner
Richard Wagner https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Richard Wagner, Paris,1861

Aber auch die schillernde Persönlichkeit Wagners bot dem jungen Hitler Möglichkeiten zur Identifikation. Nach Wagners eigener Schilderung – und der Bayreuther Kreis half bei der Inszenierung dieses Bildes tatkräftig mit – hatte sich der Komponist stets als einsamer Vorkämpfer seiner Kunst betrachtet; umgeben, geradezu umzingelt von verständnislosen Kritikern, darunter nicht zuletzt einige Juden oder solche, die Wagner dafür hielt – wie den Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick. Was Wagners Antisemitismus betrifft, bleibt allerdings offen, inwieweit dieser den jungen Hitler beeinflusst hat. Wir wissen nicht viel über eine eventuell schon in Linz vorhandene antisemitische Einstellung Hitlers. Außerdem ist Wagners Judenfeindlichkeit von Widersprüchen durchzogen. Es gibt zum einen die berüchtigten Schriften wie Das Judenthum in der Musik, es gibt aber auch Belege für eine enge Zusammenarbeit mit Juden. Sein Lieblingsdirigent in Bayreuth war etwa einer. Auch schätzte Wagner die Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy.

 

Mit seiner Wagner-Begeisterung stand Hitler in Linz nicht allein da: Um die Jahrhundertwende wurde die Stadt von einer regelrechten Wagner-Manie erfasst, und neben dem erwähnten Lohengrin brachte das Landestheater auch andere Werke aus dem Œuvre des Komponisten wie Rheingold, Die Walküre und Der fliegende Holländer zur Aufführung. Für deren Popularität förderlich waren unter anderem die aufgegriffenen Stoffe aus der damals beliebten „Germanenwelt“. Hitler war begeistert von den alten Mythen und den von Wagner in seinen Opern musikalisch wie szenisch opulent ausgeschlachteten Heldengeschichten. Das Linzer Landestheater konnte es in professioneller Hinsicht zwar nicht mit der Wiener Hofoper aufnehmen, war aber solide genug, um das Publikum – und somit auch Hitler – zu begeistern. Besonders beeindruckt war er von der Linzer Erstaufführung von Wagners Rienzi im Jahr 1905. Diese soll in ihm nach eigener Aussage den Wunsch, „Volkstribun“ zu werden, ausgelöst haben. „In jener Stunde begann es“, soll er rückblickend gesagt haben.

Bühnenbild
Bühnenbildmodell zu Tristan und Isolde (3. Akt) Hofoper 21.02.1903; Entwurf: Alfred Roller Theatermuseum KHM (Foto: Daniel Hinterramskogler)

Wagners Bühnenwerken huldigte Hitler dann auch bei seinen Aufenthalten in Wien. Im Mai des Jahres 1906 – er war damals zum ersten Mal in der Reichshauptstadt – sah er in der Hofoper Tristan und Isolde in der Produktion von 1903, die den Beginn der fruchtbaren und erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Gustav Mahler und dem Bühnenbildner Alfred Roller markierte. Roller zeichnete für Ausstattung und Kostüme, Mahler für musikalische Leitung und Inszenierung verantwortlich. Die Presse hatte sich anlässlich der ersten Aufführung vom 21. Februar 1903 überwiegend wohlwollend gezeigt. Für den Musikredakteur der Wiener Zeitung „ergab sich ein eigenes, seltsames Verhältnis der künstlerischen Elemente – nichts weniger als Gesamtkunstwerk“, gleichzeitig verwies er darauf, dass Rollers Farbenspiele hie und da ein wenig überbordend ausgefallen waren, denn die „Ablenkung von der Musik war fast gefährlich.“ Auch das Neue Wiener Tagblatt vom 22.2. lobt die Tatsache, dass durch die perfekte Symbiose von Musik und Ausstattung „das Musikdrama zu dem Gesamtkunstwerk erhoben wurde, welches dem Meister“ – gemeint ist Wagner – „als Ideal vorschwebte“. Und weiter heißt es: „Man konnte die Musik mit Augen sehen, mit Händen greifen.“ Verschiedene Zeitungen berichten von der Begeisterung des Publikums. Es hätte „dem Director zu Beginn des dritten Aufzuges eine langanhaltende, stürmische Ovation“ bereitet, so das Illustrierte Wiener Extrablatt vom 22.2.

 

Etwas kritischer zeigt sich die Ostdeutsche Rundschau vom 26.2., der zufolge die „plastische Dekoration“ und „allzu deutliche Körperlichkeit“ der Inszenierung nicht zur entrückten Traumwelt der Oper passen würden. Letzteres Blatt, dessen antisemitische Einstellung schon in der auf Seite 3 dieser Ausgabe abgedruckten Aufforderung „nur in deutschen Geschäften“ zu kaufen zum Ausdruck kommt, stört sich offensichtlich nicht an der jüdischen Herkunft Mahlers, vielleicht, weil man seine Werktreue zu schätzen weiß. So heißt es in einer anderen Kritik, die am 22.2. in derselben Zeitung erscheint: „Wir spenden Director Mahler gebührende Anerkennung für seinen Respect, den er großen Werken der Meister zollt, wir loben seine Begeisterung und seine Energie.“

Hitler könnte übrigens Mahler im September 1907 persönlich erlebt haben. Bei der Aufführung von Tristan und Isolde am 18.9. kam es, wie das Neue Wiener Journal berichtet, zu einer kleinen Überraschung: „Director Mahler erschien nämlich am Dirigentenpult“. Es ist durchaus denkbar, dass Hitler an diesem Abend die Oper besucht hat.

Text: Alexander Greiml, MA

 

Literatur:

  • Leidinger, Hannes / Rapp, Christian: Hitler – Prägende Jahre, Begleitpublikation zur Ausstellung „Der junge Hitler“ im Museum Niederösterreich, Salzburg / Wien: Residenz 2020.
  • Werr, Sebastian: Heroische Weltsicht. Hitler und die Musik, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014.
  • Schmidt, Christian Martin: Art. „Schönberg, Arnold“, in: Finscher, Ludwig (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Zweite, neubearbeitete Ausgabe. Personenteil 14: Ric–Schön, Kassel u.a.: Bärenreiter 2005.
  • Köhler, Joachim: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker, München: Blessing 1997.

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