Historische Erdbebenforschung

© ZAMG, Ausschnitt der Zeitgenössischen Flugschrift über die Auswirkung des Erdbebens vom 15. September 1590 in Wien. Hans Schultes, Augsburg 1590.

„Zerbrochene Kirchen, zerklobene Häuser“

Was sind historische Erdbeben? 

Dem Wissen um historische Erdbeben wird in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung zugemessen, da man verlässliche, vollständige und genaue Daten benötigt, um eine schlüssige Erdbebengefährdungsbewertung für ein bestimmtes Gebiet durchführen zu können. Insbesondere seit der Einführung des EUROCODE-8 – dem Normenwerk für erdbebengerechtes Bauen in Europa – kommt der Erfassung und der quellenkritischen Beurteilung historischer Erdbeben vermehrt Interesse zu, da der Beurteilungszeitraum für die Festlegung der Erdbebengefährdung auf über 450 Jahre ausgedehnt wurde. Das heißt, dass bei der Erdbebengefährdungsbewertung Erdbeben berücksichtigt werden müssen, die bereits vor 1900, der instrumentellen Erfassung, stattgefunden haben. Aber auch aufgrund der verhältnismäßig langen „Wiederkehrperioden“ von starken Erdbeben in Österreich kommt der Interpretation historischer Erdbeben große Bedeutung zu. 

http://www.zamg.ac.at/cms/de/geophysik/erdbeben/historische-erdbeben

Wo bebt es in Niederösterreich?

In Niederösterreich werden im Durchschnitt neun Erdbeben pro Jahr wahrgenommen. Erdbeben, die bereits zu leichten Schäden führen, ereignen sich etwa alle neun Jahre. Stärkere Erdbeben, die vereinzelt zu stärkeren Gebäudeschäden führen, finden alle 30 bis 40 Jahre statt und noch stärkere im Abstand von mehr als 100 Jahren. http://www.zamg.ac.at/cms/de/geophysik/erdbeben

Ein Großteil der Erdbeben in Niederösterreich ist auf einen Bruch in der Erdkruste unter dem Wiener Becken zurückzuführen, der sich von Seebenstein bis nach Schwadorf und darüber hinaus bis in die Slowakei erstreckt. Entlang dieser Bruchlinie liegen Wiener Neustadt (Erdbeben 1712, 1768, 1841) und Ebreichsdorf (Erdbeben 1938, 2000, 2013), die immer wieder Epizentren von Erdbeben sind. Diese horizontale Verschiebung trägt zu einer Ausweitung des Wiener Beckens bei, die bis heute andauert und auch zu einer Absenkung führt, die geodätisch nachweisbar ist.
Eine Ausnahme stellen die vereinzelten Erdbeben am Rande des Tullner Beckens dar, die mit einer keilförmigen Aufschiebung der Kalkalpen über die Böhmische Masse erklärt werden können.
Die Erdbeben in Niederösterreich ereignen sich in einer Tiefe zwischen 5 und 11 km.

Die zwei bekanntesten Erdbeben der letzten 50 Jahre waren jenes am 16. April 1972 in Seebenstein und das am 11. Juli 2000 in Ebreichsdorf. Das wohl stärkste Erdbeben in historischer Zeit ereignete sich am 15. September 1590 in Ried am Riederberg. Es führte zu großen Schäden im Tullnerfeld und in der heutigen Bundeshauptstadt Wien.

Wann war Österreichs stärkstes Beben?

Am 15. September 1590 ereignete sich in Niederösterreich ein Erdbeben, dessen Epizentrum im Bereich des Wienerwaldes um Ried am Riederberg lag. In der Vergangenheit war dieses Beben auch als „Neulengbacher Erdbeben“ bekannt. Die Intensität des Erdbebens im Epizentrum (Epizentralintensität) wurde mit 9 Grad auf der 12-teiligen Europäischen Makroseismischen Skala (EMS-98) bestimmt und die Magnitude mit 5,75 abgeschätzt.
Dieses Beben ist das stärkste bekannte Erdbeben in Österreich. Aus zeitgenössischen Quellen, Annalen, Chroniken, Tagebucheintragungen und Rechnungen konnte das Erdbeben im Rahmen der Historischen Erdbebenforschung rekonstruiert werden. In Wien wurden für 26 Gebäude Schadensmeldungen (innerhalb der damligen Stadtmauer) belegt, darunter der teilweise Einsturz des Turms der Michaelerkirche und der Einsturz des Gasthauses „Zur guldnen Sonne” in der Rotenturmstraße, wo neun Erdbebenopfer zu beklagen waren. Zeitgenössische Berichte geben Auskunft über die Schäden in Niederösterreich, die sich im Tullner Feld konzentrierten.

Abbildung: Zeitgenössische Flugschrift über die Auswirkung des Erdbebens vom 15. September 1590 in Wien. Hans Schultes, Augsburg 1590.

Flugblatt: Warhafftige und Erschröckliche newe Zeitung auß Wien / von etlichen großen / und unerhörten Erdbidem / welche viel Thüren eingeworffen / etliche Kirchen zerbrochen / und falst alle Häuser zerschelte und zetrkloben deren merentheils / Den 15. Tag Septembris / In disem Jezlauffenden 1590. Jar geschehen seind.

Vom barocken in ein heute verständliches Deutsch übertragen lautet das etwa: Furchtbare Neuigkeiten aus Wien: Durch ein schweres Erdbeben am 15. September 1590 wurden zahlreiche Kirchen und Häuser schwer beschädigt oder zerstört.

Erdbebendienst der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG)

1904 wurde als Folge des Laibach Bebens vom 25. April 1895 an der ZAMG ein Erdbebendienst eingerichtet. Erster Leiter war der Geophysiker Victor Conrad (nach ihm wurde das geophysikalische Observatorium am Trafelberg in NÖ benannt http://www.conrad-observatory.at/zamg/index.php/de/).

Zu den zahlreichen Aufgaben des Erdbebendienstes zählt vor allem der Betrieb des nationalen Erdbebenmessnetzes und die Erfassung und Lokalisierung aller seismischen Ereignisse, sowie deren seismologische Interpretation. (http://www.zamg.ac.at/cms/de/geophysik/erdbeben/erdbebendienst)

Bis heute wird die Bevölkerung vom Erdbebendienst der ZAMG zusätzlich ersucht, nach einem Erdbeben ihre Wahrnehmungen an die ZAMG zu senden. Früher erfolgte das schriftlich, meist mittels sogenannter Antwortkarten, heute langen die meisten Berichte via Online-Wahrnehmungsformular auf der Website der ZAMG ein.
http://www.zamg.ac.at/cms/de/aktuell/erdbeben

Text: Dr. Christa Hammerl (Kuratorin der Sonderausstellung "gewaltig! Extreme Naturereignisse")
Fachabteilung Seismologie, Bereich Daten, Methoden, Modelle
ZAMG - Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik

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