Anny Wödl

© NÖ Museum Betriebs GmbH

  Frauenportrait #13

Anny Wödl (1902–1996) - Eine Mutter kämpft um ihren Sohn


Ein Stolperstein, verlegt am Areal des Landesklinikums Wiener Neustadt, erinnert an das Schicksal des 7jährigen Alfred Wödl und seiner Mutter Anny.
Drei Wochen vor der Entbindung hatte Anny Wödl, die am Corvinusring 16 in Wiener Neustadt lebte, eine Rauchgasvergiftung erlitten. Als der kleine Alfred in das Alter kam, in dem andere Kinder zunächst zu laufen und dann zu sprechen begannen, merkte die Mutter, dass diese Rauchgasvergiftung nicht ohne Folgen für das Kind geblieben war. 1946 sagte sie als Zeugin vor Gericht aus:
„Ich habe am 24. November 1934 einen Knaben geboren, der mit dem Gehen und auch mit dem Sprechen Schwierigkeiten hatte, als er gehen und sprechen sollte. Es stellte sich schließlich heraus, dass er zwar alles verstand, dass er aber nicht sprechen konnte. Auch waren seine Beine offenbar zu schwach, um ihn zu tragen, sodass er soviel wie nicht gehen konnte. Woran er eigentlich litt und was die Ursache seines Zustandes war, konnten die Ärzte eigentlich nicht feststellen.“
Von Amts wegen wurde am 1. April 1939 seine Einweisung in die Pflege- und Beschäftigungsanstalt für Kinder in Gugging verfügt. Zu dieser Zeit begann man im Dritten Reich mit einer großangelegten Aktion zunächst gegen behinderte Kinder, die später auch auf Erwachsene mit Behinderungen ausgedehnt wurde. Ein Erlass verpflichtete Ärzte und Hebammen, Fälle von „Idiotie“ und „Missbildungen“ den Gesundheitsämtern zu melden. Die betroffenen Kinder wurden von Amts wegen in sogenannte Kinderfachabteilungen überstellt. In Wien wurde eine solche Abteilung in der Nervenheilanstalt „Am Steinhof“ eingerichtet. Ihr Leiter war Erwin Jekelius, sein Assistent Heinrich Gross, der über die Aktionen in einem Verhör nach dem Krieg zu Protokoll gab: „Man stellte Listen über die betreffenden Kinder zusammen und schickte sie mir zur unmittelbaren Ausführung. Ich wiederum habe die Listen an Dr. Gross übergeben, der dann die Tötung der Kinder mittels Verabreichung von Luminal vornahm. Die Tötung kranker Kinder wurde von uns unter strengster Geheimhaltung vorgenommen. Daher wussten die Eltern darüber nichts. Nach der Vergiftung eines Kindes durch Dr. Gross wurde den Eltern mitgeteilt, dass ihr Kind an dieser oder jener Krankheit gestorben sei, die er sich selbst ausdachte. Diese Mitteilungen habe ich als Leiter der Klinik unterschrieben [. . .] monatlich töteten wir zwischen 6 und 10 Kinder.“
Trotz der strengen Geheimhaltung fiel das Verschwinden der Patienten/Patientinnen auf; zu auffällig war das sich regelmäßig wiederholende Muster: zunächst eine Nachricht, dass der Patient/die Patientin als kriegsbedingte Maßnahme verlegt werden musste und dann einige Zeit später die Todesnachricht. Die  betroffenen Angehörigen verlangten von Ärzten und Pflegepersonal eine Erklärung. Anny Wödl, die Krankenschwester im Kriegslazarett des Allgemeinen Krankenhauses war, traf sich im Geheimen mit den Müttern und Vätern. Man kam zu der Ansicht, dass nur eine Intervention in Berlin Erfolg bringen könnte. Sicher auch getrieben durch die Sorge um das eigene Kind, das auch jederzeit in diese Todesmaschinerie geraten konnte, fuhr Anny Wödl im Juli 1940 nach Berlin und sprach im Namen aller Angehörigen der Steinhof-Patienten in der Reichskanzlei vor.  Man verwies sie ans Reichsinnenministerium. Dort wurde sie von Ministerialdirigent Linden empfangen, der als Reichsbeauftragter für die Heil- und Pflegeanstalten für die Durchführung der T4-Aktion – der systematischen Ermordung von mehr als 70.000 Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen in den Jahren 1940 bis 1941 – maßgeblich verantwortlich war. Ihre Intervention war wie zu erwarten vergeblich. Linden erklärte ihr, dass Berlin nicht dazu bereit wäre, für Wien Ausnahmen zu machen.
Im Jänner des folgenden Jahres erfuhr sie von einer Krankenschwester in Gugging, dass nun auch ihr Sohn Albrecht für einen „Transport“ in die Tötungsanstalt  Schloss Hartheim vorgesehen sei, wo u. a. auch Menschen mit Behinderungen im Rahmen der T4-Aktion vergast wurden.  Anny Wödl fuhr sofort wieder nach Berlin zu Ministerialdirigent Linden, um ihren Sohn zu retten. Linden frage sie nur, was sie, die als Krankenschwester im Kriegseinsatz tätig wäre, mit einem behinderten Kind wolle. Das einzige Zugeständnis, das sie erreichen konnte, war eine „Sterbeerleichterung“ für ihren Sohn:  Linden versprach ihr, dass Alfred wenigstens in ihrer Obhut sterben „dürfe“.   
Am 6. Februar 1941 wurde Alfred Wödl von Gugging in die Kinderanstalt „Am Spiegelgrund“ in Steinhof verlegt. Ergebnislos blieben die Bemühungen der Mutter, ihren Sohn doch noch der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie zu entreißen. Am 17. Februar besuchte sie ihren Sohn, am 23. Februar erfuhr sie, dass Albrecht am Tag zuvor ermordet worden war. Die offizielle Todesursache in den Akten und auf dem Totenschein war „Lungenentzündung“. Anny Wödl konnte auch nicht verhindern, dass Dr. Heinrich Gross ihren Sohn obduzierte. Über 60 Jahre befand sich Alfreds Gehirn in einem Keller der Pathologie des „Steinhofs“. Erst im April 2002 wurde sein Gehirn mit den Gehirnen weiterer wenigstens 600 Opfer in einem Ehrenhain am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.   
Am 5. März 1942 wurde Anny Wödl im Wiener Allgemeinen Krankenhaus nach einer ärztlichen Untersuchung, auf Veranlassung der Direktion, gekündigt; in dem entsprechenden Schriftstück heißt es: „… dass bei der Wödl eine hochgradige Neurose bestehe, die eine ersprießliche Dienstleistung nicht erwarten lasse und die Lösung des Dienstverhältnisses unter Nachsicht der Kündigungsfrist zu empfehlen wäre.“
Bild: Fotoquelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (http://www.doew.at/)
Text: Dr. Elisabeth Vavra
Link:
http://de.doew.braintrust.at/m22sm112.html

Mein Besuch

0 Einträge Eintrag

Voraussichtliche Besuchszeit

Liste senden